Kolumne «Weltanschauung» Gleichförmige Meinungen
Sklaven der Maske?

Die Corona-Massnahmen sind kein Ausdruck dafür, dass uns der Staat knechten oder uniform machen will. Aber unabhängig davon werden wir tatsächlich immer angepasster und gleichförmiger.
Publiziert: 23.11.2020 um 06:26 Uhr
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Aktualisiert: 17.01.2021 um 23:54 Uhr
Giuseppe Gracia

Kürzlich wartete ich auf dem Weg zur Arbeit am Bahnhof, zusammen mit anderen Pendlern. Wir trugen alle eine Maske, und ich bemerkte, dass jemand mit Kreide auf den Boden geschrieben hatte: «Ihr seid Masken-Sklaven.» Während der Zugfahrt überlegte ich, inwiefern ich tatsächlich ein Sklave sein könnte, sozusagen ein maskiertes Humankapital-Schäfchen. Diese Masken lassen uns jedenfalls alle gleich aussehen. Unheimlich. Und noch unheimlicher: Es scheint, als wäre die Maske vielen überhaupt nicht mehr unheimlich.

Das Ganze erinnert mich an den Film «They Live» (1988) von John Carpenter, der von einer versteckten Ausserirdischen-Invasion handelt. Mit Brainwashing durch Werbung, Fernsehen und Regierungspropaganda werden die Menschen hypnotisiert, damit sie sich ohne grossen Widerstand als Arbeitsbienen ausbeuten lassen. Im Film lauten die heimlich ins Gehirn gesendeten Botschaften: «Gehorche!» – «Konsumiere!» – «Sieh fern!» – «Stelle keine Autoritäten in Frage!». Kann man wirklich sagen, dass die Botschaften, die uns heute im realen (medial-politischen) Mainstream begegnen, so vollkommen anders sind?

Nein. Ich bin kein Covid-19-Leugner. Ich bin kein Gegner von Corona-Massnahmen und kein Freund von Egoisten, die ihre Freiheit über die Gesundheit anderer stellen. Ich finde, unsere Regierung macht einen guten Job.

Giuseppe Gracia, Schriftsteller.
Foto: Thomas Buchwalder
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Unbequeme werden bestraft

Aber unabhängig von Corona würde ich sagen: Wir als Gesellschaft machen insgesamt keinen guten Job. Wir werden immer angepasster und gleichförmiger, egal, um was es geht. Entgegen der Rede vom «Individualismus» dominieren, ob unter Kollegen oder in den Medien, die immer gleichen Mainstream-Meinungen. Und sobald jemand unbequem wird und ausschert, bestrafen wir ihn.

Das fängt schon in der Schule an, geht im Büro weiter und gilt selbst unter Nachbarn. Wenn sich jemand wirklich erlaubt, von der Mehrheitsstimmung abzuweichen, wenn er Denkgewohnheiten bedroht oder Regierungsanweisungen hinterfragt, sind wir nicht dankbar. Wir belohnen nicht den Mut zum kritischen Denken. Nein, der Abweichler wird problematisiert, pathologisiert, stigmatisiert.

Die Herde und die Freiheit

Das ist keine gute Entwicklung. Sie fördert weder kritisches Denken noch Courage, sondern Opportunismus und Denunziantentum. Wenn alle mit der Herde gehen, weil es sicherer ist, wie soll die Freiheit wach und lebendig bleiben? Oder mit dem US-Gründervater Benjamin Franklin (1706–1790): «Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, verliert am Ende beides.»

Giuseppe Gracia (53) ist Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur. Sein neuer Roman «Der letzte Feind» ist im Fontis Verlag, Basel, erschienen. In der BLICK-Kolumne, die jeden zweiten Montag erscheint, äussert er persönliche Ansichten.

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