Kolumne «Meine Generation» über Einvernehmlichkeit
Bitte aufwachen, wenn es um Sex geht!

Nur ein Ja ist ein Ja. Aber erstaunlich viele Leute gaben bei einer Umfrage an, dass sie das anders sehen – auch junge. Schockierend, wie wenig Einvernehmen über einvernehmlichen Sex herrscht.
Publiziert: 22.04.2022 um 14:13 Uhr
Noa Dibbasey

Mir ist aufgefallen, dass ich in meinen Kolumnen bisher ein ziemlich düsteres Bild von meiner Generation gezeichnet habe. Ich hatte mir für heute fest vorgenommen, etwas Nettes zu schreiben.

Dann aber veröffentlichte das GFS in Zusammenarbeit mit Amnesty International eine Umfrage zu sexuellen Beziehungen und Gewalt und vereitelte damit mein fröhliches Vorhaben. Nun kann ich nur über die Hälfte aller jungen Schweizerinnen und Schweizer etwas Nettes schreiben.

Auch wenn sich die Schweiz vergleichsweise noch immer schwertut, offen über Sex und alles Drumherum zu reden, hatte ich die Illusion, dass einvernehmlicher Sex allgemeiner Konsens ist. So wie das Wort, das sich in meiner Generation dafür verbreitet hat: Consent (oder eben Konsens).

Viele Menschen haben sich in einem sexbezogenen Kontext schon einmal unwohl gefühlt. Für Noa Dibbasey steht deshalb ausser Frage: Nur Ja heisst Ja.
Foto: Frederic Cirou/PhotoAlto/laif

Nein sagen ist nicht immer einfach

Damit ist gemeint, dass man sich vor und während sexueller Handlungen immer wieder versichert, dass die andere Person auch will, aktiv und hoffentlich auch begeistert bei der Sache ist. Weil: Nein sagen ist aus verschiedensten Gründen nicht immer einfach. Unter Einfluss irgendwelcher Substanzen ist Consent zum Beispiel nicht möglich.

Zu meiner Empörung empfindet aber nur die Hälfte der 18- bis 39-Jährigen in diesem Land diese Zustimmungslösung als wirksamstes Mittel gegen sexualisierte Gewalt im Sexualstrafrecht. Okay, 39-Jährige gehören nicht mehr zur Generation Z. Trotzdem dachte ich, das Internet hätte uns alle sensibilisiert, gerade was Consent und sexuelle Übergriffe angeht.

Gemäss statistischer Wahrscheinlichkeit bin ich jünger als Sie, der oder die diesen Text gerade liest. Ich hatte statistisch gesehen also wohl auch weniger Sex in meinem Leben. Ich möchte mich keinesfalls in Ihr privates Sexleben einmischen.

Bewusstsein für die Narben

Wo ich aber gern reinreden mag: wenn sich jemand unwohl fühlt. Und ich kenne viel zu viele Menschen, die sich in einem sexbezogenen Kontext schon einmal unwohl fühlten.

Juristisch gesehen würde sich auch mit einer Revision des Sexualstrafrechts (leider) nicht viel ändern – denn es gibt relativ selten Zeuginnen in solchen Situationen. Aber: Was für eine Erleichterung es doch wäre, wenn die Schweiz als Gesellschaft ein Zeichen setzen würde. Ein Bewusstsein beweisen für die Narben, die sexuelle Handlungen hinterlassen können, wenn sie nicht auf einer Basis von Respekt gegenüber der anderen Person und deren Wohlbefinden geschehen.

Die Umfrage hat übrigens auch ergeben, dass 15 Prozent der Männer (und nur 4 Prozent der Frauen) es als Einwilligung zu Sex verstehen, «wenn die Person schläft und sonst immer zustimmt». Da haut es mir fast den Nuggi raus. Consent bedeutet auch, dass man seine Meinung jederzeit ändern darf. Und das würde ich diesen 15 Prozent dringendst empfehlen.

Um zum Schluss doch noch etwas Nettes zu sagen: Danke an all die Menschen, die mich gefragt haben, ob sie mich küssen dürfen, bevor sie es getan haben – war immer ziemlich sexy!

Noa Dibbasey (21) weiss, dass man zu Consent und sexualisierter Gewalt noch viel mehr schreiben kann und muss, als auf diesem Platz möglich ist. Sie widmet diesen Text allen, die schon einmal uneinvernehmliche sexuelle Handlungen erlebt haben. Dibbasey schreibt jeden zweiten Freitag im Blick.

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