Kolumne «Meine Generation» über Diskussionen in der Familie
So schlängelte ich mich durch die Weihnachtsgespräche

Das Fest der Liebe läuft oft nicht so harmonisch wie gewünscht. Generationen und Meinungen treffen mit voller Wucht aufeinander. Umso dankbarer ist unsere Kolumnistin für die Diskussionskultur in ihrer Familie.
Publiziert: 30.12.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 29.12.2022 um 21:16 Uhr
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Noa DibbaseyKolumnistin

Ach wie besinnlich war sie doch wieder, die Weihnachtszeit. Feines Essen und Gschenkli, wohliges Beisammensein bei Kerzenschein, die ganze Familie lag sich in den Armen. Der Hund schlief am Fussende des Sofas und wurde vom kleinen Cousin gekrault. Die Mutter trug den Braten in die warme Stube und die Grosseltern blickten mit Wonne auf ihre Nachkommen. Und alle hatten einen riesigen Smile auf den Lippen. Szenen wie aus der Werbung.

Nun, ganz so einfach war es nicht. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich liebe meine Familie. Meine Festtage waren schön und das Essen echt lecker. Aber Weihnachten ist einer der wenigen Tage im Jahr, an dem so viele verschiedene Generationen mit ihren Meinungen an einem Tisch sitzen. Den Rest des Jahres verbringen wir in unseren Blasen, mit Gleichgesinnten und Gleichaltrigen.

«S’Feschtli isch scho schön gsi – aber immer die viele Diskussione», sagen meine Freundinnen. Auch dieses Jahr gab es wieder einige Tretminen: LGBTQ, Klimaaktivismus, Kriege und deren Auswirkungen.

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Manche Familienmitglieder sind äusserst geschickt darin, bereits beim Salat mit provokanten Fragen um sich zu schmeissen
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Wenn verschiedene Realitäten aufeinanderprallen, ist höchste Vorsicht geboten. Man möchte ja tolerant miteinander umgehen. Gleichzeitig will man den anderen schon die eigene Meinung aufbinden – es ist schliesslich die richtige! Laut werden sollte man eigentlich nicht. Aber manche Familienmitglieder sind äusserst geschickt darin, bereits beim Salat mit provokanten Fragen um sich zu schmeissen.

Andere sind heimlifeiss. Bringen eine durch und durch problematische Aussage in einem Nebensatz unter. Dann gilt es abzuwägen. War das jetzt eine Stichelei oder einfach ein misslungener Spruch? Reagiere ich darauf und riskiere eine weitere halbe Stunde mit schiefem Haussegen an der Festtafel? Oder lasse ich's bleiben und schlucke meinen Stolz hinunter?

Und so schlängelt man sich durch Gespräche, während das Raclette vor einem brutzelt. Probiert einen kühlen Kopf zu bewahren, auch wenn sich die Cousinen im Hintergrund fetzen. Wägt jedes Wort ab und nimmt einen Schluck zu viel vom Wein.

Man will es ja doch gut haben. Muss den Spagat zwischen schöner, heiler Weihnachtswelt und der schweren und düsteren echten Welt schaffen. Und obwohl das echt auslaugend sein kann, muss ich mich doch immer wieder auf das wichtigste Gefühl der Festtage besinnen: Dankbarkeit.

Denn ich habe eine Familie, mit der ich diskutieren kann. Die mir den Austausch mit älteren Semestern ermöglicht. Kann Geschichten lauschen, die an jedem Familienfest zum Besten gegeben werden und doch immer für Lacher sorgen. Ich fühle mich wohl, akzeptiert und geliebt von meiner Familie. Und dieses Glück haben nicht alle.

Noa Dibbasey (21) studiert an der Universität Bern Sozialwissenschaften. Sie schreibt jeden zweiten Freitag im Blick.

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