Kolumne «Geschichte» über ungleiches Mass bei Extremismus
Wenn Bücher brennen

Der Wiler Jungsozialist Timo Räbsamen erlangte nationale Bekanntheit mit einem Instagram-Post: «Heute brennt die Weltwoche, morgen dann Roger Köppel.» Wie wären die Reaktionen ausgefallen, hätten junge SVPler zum Abfackeln der «WoZ» aufgerufen?
Publiziert: 15.10.2020 um 23:13 Uhr
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Aktualisiert: 12.11.2020 um 21:38 Uhr
Claude Cueni

«Und nicht wenige, die Zauberei getrieben hatten, brachten ihre Zauberbücher herbei und verbrannten sie vor aller Augen.» Auf diesen Bibeltext beriefen sich religiöse Fanatiker, wenn sie in den folgenden 2000 Jahren unliebsame Schriften den Flammen übergaben. Seit der Antike werden missliebige Schriften öffentlich verbrannt, manchmal zusammen mit ihren Verfassern.

Um 1193 fackelte der islamisch-türkische Eroberer Bakhtiyar Khilji die buddhistische Nalanda-Universität ab, ab dem 4. Jahrhundert loderte die religiöse Pyromanie der römisch-katholischen Kirche, die Inquisition war der vorläufige Höhepunkt.

Der Wahn infizierte alle Kontinente. Der Bischof Diego de Landa liess in Yucatan fast alles vernichten, was in Maya-Schrift verfasst war. Nach den Bücherverbrennungen der Nazis verbrannten die Roten Khmer 1975 in Kambodscha Bibliotheken, im Bosnienkrieg fackelten serbische Nationalisten über eine Million Bücher ab, im März 2001 wurden während eines Gottesdiensts im US-Bundesstaat New Mexico «Harry Potter»-Romane wegen angeblicher Hexerei verbrannt.

Claude Cueni, Schriftsteller.
Foto: Thomas Buchwalder
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«… morgen dann Roger Köppel»

Jungsozialist Timo Räbsamen sitzt im Stadtparlament von Wil SG. Im Februar 2019 schrieb er in einem mittlerweile gelöschten Instagram-Post: «Heute brennt die Weltwoche, morgen dann Roger Köppel» – und illustrierte die Zeilen mit einem Foto, das einige Geschichtslose beim Abfackeln einer «Weltwoche» zeigt.

Hätten junge SVPler getextet: «Heute brennt die Wochenzeitung, morgen dann die Chefredaktoren» – es hätte Nazikeulen geregnet. Leider gibt es in den Redaktionen immer mehr «Influencer», die sich als publizistischen Arm eines totalitären Mobs verstehen und zweierlei Mass anwenden.

ARD-Journalist Hanns Joachim Friedrichs (1927–1995) sagte einst: «Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache. Auch nicht mit einer guten.»

Rechts Faschismus, links Satire

Alle zu den Wahlen zugelassenen Parteien haben ihre Berechtigung, sie repräsentieren einen Teil der Bevölkerung. Kontroverse Meinungen und zivilisierte Debatten sind die Vitamine einer gesunden Demokratie.

Doch heute gilt: Was von rechts kommt, ist Faschismus, was von links kommt, war bloss Satire. Heinrich Heine (1797–1856) prophezeite: «Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende Menschen.»

Claude Cueni (64) ist Schriftsteller und lebt in Basel. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK. Kürzlich erschien im Verlag Nagel & Kimche sein Roman «Genesis – Pandemie aus dem Eis».

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