Kolumne «Der Alte»
Tü-ta-to, Postauto

Avenir Suisse, das Denklabor der Schweiz, würde die Postautos am liebsten privatisieren. Sie sollten lieber darüber nachdenken, wie wichtig – und schön! – der Service public für unser Land ist.
Publiziert: 22.10.2019 um 23:16 Uhr
Helmut Hubacher

Es ist die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Nicht die der Schweiz AG.

Die Marktwirtschaft ist privat organisiert. Firmen müssen Gewinn verbuchen. Nur so sind sie konkurrenzfähig und bieten gute Arbeitsbedingungen.

Eine Ergänzung ist der Service public: SBB, Post, Swisscom. Dazu kommunale Verkehrsbetriebe, Kehrichtabfuhr, EW, Fernheizung. Sie arbeiten nicht gewinnorientiert.
Der Gewinn ist das volkswirtschaftliche Allgemeinwohl.

Helmut Hubacher, Ex-SP-Chef Schweiz.
Foto: Thomas Buchwalder

Drittens haben wir Genossenschaften wie Coop, Migros, Mobiliar Versicherung, Wohnbaugenossenschaften. Statt Aktionäre profitieren dort Konsumentinnen, Mieter und Kunden.

Mit diesem Dreiklang zählt die Wirtschaft zu den erfolgreichsten weltweit.

Für Wirtschaft und Gesellschaft

Die SBB betreiben auch Linien, mit denen sie nichts verdienen, vielmehr drauflegen. Ihr Auftrag ist die flächendeckende Versorgung. Die verkehrspolitische Infrastruktur ist wichtig für die Wirtschaft und Gesellschaft.

Zum Service public zählt das Postauto. Avenir Suisse ist das Denklabor der Wirtschaft. Einer ihrer Vertreter hat kürzlich im BLICK für Aufsehen gesorgt: «Dass der Staat ein Busunternehmen betreibt, ist ein Anachronismus.» Das bedeutet wohl, privatisieren wäre besser.

Der Freisinn hat unseren Bundesstaat gegründet. Und hat den Service public eingeführt. Das Liniennetz des Postautos ist grösser als das der SBB. Mit dem Postauto wird auch noch das kleinste Dorf im hintersten Tal bedient.

Eine waghalsige Fahrt erlebte ich von Magadino TI nach Indemini TI. Ich schaute in Abgründe. Nach der Ankunft hätten meine Frau Gret und ich den Chauffeur am liebsten umarmt.

Einfach vögeliwohl

Lü liegt hoch über dem Münstertal. Es hat zwei, drei Dutzend Einwohner. Die Wirtin im Hirschen weiss, warum sie das sagt: «Das Postauto ist für mich ein Stück Heimat.»

Unfälle mit dem Postauto sind fast so selten wie die Mondfinsternis. Das spricht für die top ausgebildeten Chauffeure am Steuer. Vorletzte Woche fuhren wir von Brig VS über den Simplon nach Domodossola. Bei Reisen im Postauto ist mir einfach vögeliwohl. Als ob meine Seele gestreichelt würde.

Helmut Hubacher (93) war von 1975 bis 1990 Präsident der SP Schweiz. Er schreibt jeden zweiten Mittwoch im BLICK.

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