Kolumne «Der Alte»
Die Demokratie ist stark genug

Findet es der Bundesrat toll, dass er endlich mit Notrecht regieren darf und am liebsten nicht aufhören würde damit? Es gibt Leute, die das so sehen. Kolumnist Helmut Hubacher wettet dagegen.
Publiziert: 19.05.2020 um 23:13 Uhr
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Aktualisiert: 20.08.2020 um 08:18 Uhr
Helmut Hubacher

Unser Bundesstaat datiert von 1848. Historisch überliefert ist: Der erste Finanzminister nahm über Mittag und nachts die Bundeskasse mit nach Hause. Sonst ist nichts mehr so wie damals. Ausgenommen das Regierungssystem.

Noch immer sind es sieben Bundesräte. Schon 172 Jahre lang. Ich wüsste kein zweites Land, das mit so wenigen Ministern auskommt. Unter erschwerten Umständen regiert der Bundesrat nun mit Notrecht. Bereits im dritten Monat. Das funktioniert bloss deshalb, weil die sieben gut zusammenpassen. Das war nicht immer so.

Stellen wir uns vor, Christoph Blocher und Hans-Rudolf Merz wären noch dabei. Blocher behauptet ja, im Bundeshaus herrsche Diktatur. Spannungen wären programmiert. Merz fiel, wie keiner vor und nach ihm, völlig aus dem Rahmen. «Die Zeit» vom 3. Januar 2013 erinnerte in ihrem Schweizer Teil daran: «Selten hat ein Mitglied der Regierung so viel Schaden angerichtet wie der Appenzeller.» Schuld war seine Finanz- und Steuerpolitik.

Helmut Hubacher, ehemaliger SP-Chef.
Foto: Thomas Buchwalder

Fehler gehören dazu

Dem Bundesrat gehören die vier wichtigsten Parteien von rechts bis links an. Harte parlamentarische Gegner wie SVP und SP sind im Bundesrat Partner. Die sich in diesen schwierigen Zeiten recht gut vertragen. Besser jedenfalls als im Normalfall. Was gar nicht selbstverständlich ist.

Notrecht bedeutet für den Bundesrat mehr Macht. Der normale Politbetrieb mit dem Zweikammersystem, mit Referendum und Volksabstimmungen bräuchte viel zu viel Zeit. Der Bundesrat mag seinen Job noch so gut machen, Fehler sind nicht zu vermeiden. Und werden dereinst aufgerechnet. Den Schuldenberg mit Dutzenden Milliarden verantworten zu müssen, ist zudem kein Schleck.

Aufatmen im Bundesrat

In Deutschland ist Christian Drosten, was bei uns Daniel Koch ist. Nur jünger, smarter halt, und er ist wie ein Halbgott verehrt worden. Auf einmal ist das Klima rechtsaussen in Hass gekippt. Drosten erhält jetzt Morddrohungen.

Es gibt Leute, die meinen, dem Bundesrat bereite das Notrecht Gefallen. So sehr, dass er sich kaum mehr trennen könne. Solche Bedenken habe ich gar nicht. Unsere Demokratie hält Notrecht vorübergehend aus. Der Bundesrat wird befreit aufatmen, wenn er das Notrecht wieder abgeben darf. Dafür würde ich jede Wette riskieren.

Helmut Hubacher (93) war von 1975 bis 1990 Präsident der SP Schweiz. Er schreibt jeden zweiten Mittwoch im BLICK.

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