Kolumne «Alles wird gut»
Sinnsuche auf dem Flohmarkt

Wann waren Sie das letzte Mal auf einem Flohmarkt? Falls es lange her ist, sollten Sie einen Besuch unbedingt in Betracht ziehen. Die endlosen Stände sind wie endlose Strände – Ferien vor der Haustür.
Publiziert: 12.07.2020 um 22:58 Uhr
|
Aktualisiert: 06.09.2020 um 19:31 Uhr
Ursula von Arx

Von abenteuerlichen Reisen ins Ausland wird in diesen Sommerferien abgeraten, Corona sei Dank.

Ein guter Ersatz sind Flohmärkte. Besuchen Sie einen Flohmarkt, und Ihre Welt wird grenzenlos sein. Die endlosen Stände sind wie endlose Strände, die Sie entlangschlendern und sich überraschen lassen, was alles angeschwemmt kommen mag. Menschen treffen auf Menschen, die auf Dinge treffen, die wiederum auf Dinge treffen, die sich sonst nie treffen würden: Eine Ex-DDR-Jungaktivisten-Medaille liegt neben einem blauäugigen Puppenporzellankopf neben einer braunen Wolldecke mit Schweizerkreuzen neben einem Wählscheibentelefon aus Marmor neben Balenciaga-Turnschuhen neben einer Plastiktulpe. Wobei es leicht möglich ist, dass die Ex-DDR-Medaille von einer Frau aus Ex-Jugoslawien verkauft wird und die Schweizer Armeedecke von einem Algerier.

Unsere Dinge sind unsterblich

Das für die einen Unentbehrliche liegt gleichwertig neben dem für andere völlig Sinnlosen. Wie Friedhöfe sind Flohmärkte. Sie trösten uns, weil sie anschaulich machen, wie relativ doch alles ist und am Ende gleich. Und gleichzeitig verweigern sie uns den Trost. All die ausrangierten Gegenstände, all die Bücher, Bilder, Lampen, all die Löffel und manchmal von Motten zerfressenen Kleider verwandeln uns in Voyeure sowohl unserer Vergangenheit als auch unserer Zukunft. Wir sind sterblich, sterblicher als unsere Dinge. Unsere Dinge sind unsterblich im Vergleich zu uns.

Ursula von Arx, Autorin.
Foto: Thomas Buchwalder

Macht nichts. Im Gegenteil. Das Leben der Menschen ist in den Dingen der Menschen konserviert. Wie beruhigend. So ziehen Sie weiter. Doch bevor Sie die weiss-schwarze Mickey-Mouse-Vase anfassen, desinfizieren Sie sich die Hände, Sie haben Corona nicht vergessen. Was wiederum Sie daran erinnert, dass Sie in der Schweiz sind und nicht sonst wo, denn nur in der Schweiz können sich Flohmarktbetreiber Desinfektionsmittel für ihre Kunden leisten, vermuten Sie.

Brise der Freiheit

Sie lassen sich treiben. Fühlen sich wie ein Perlentaucher in einem Meer aus Müll und Möglichkeiten. Um Ihre Nase säuselt die salzige Brise der Freiheit. Kein Zwang zu bestimmten Gesten, eine Ihnen im Arbeitsalltag unbekannte Leichtigkeit befällt sie. Sie pinkeln an den nächsten Baum. Alles wird gut.

Ursula von Arx mag Flohmärkte, besonders die ungezähmten. Also eher die am Rand als die im Zentrum. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im BLICK.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?