«Geschichte, jetzt!»
Lifestyle oder Prekariat? Eine Geschichte der Teilzeitarbeit

Die Historiker Britta-Marie Schenk und Daniel Allemann von der Universität Luzern erklären, wie es zum Modell der Teilzeitarbeit kam. Und wieso sie oft wenig mit Work-Life-Balance zu tun hat.
Publiziert: 13.05.2023 um 11:39 Uhr
Britta-Marie Schenk und Daniel Allemann

Teilzeitarbeit liegt im Trend. Weniger arbeiten und trotzdem gut leben, wer wünscht sich das nicht? Zudem gilt die Teilzeitbeschäftigung als Garant für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Also alles paletti in Europas Wohlstands-Wohlfühl-Zonen? Der Schein trügt. Teilzeitarbeit bedrohe die Wirtschaft, heisst es allerorts. Doch was ist eigentlich mit den Beschäftigten?

In der Antike war Arbeit oft Sklavendienst. Schuften musste man auf Abruf, und zwar exklusiv für einen Herrn – das sagte schon die Bibel. Aber das römische Recht machte eine Ausnahme: Haussklaven im gemeinschaftlichen Besitz zweier Herren sollten mal dem einen, mal dem anderen dienen. Teilzeitarbeit war effizientes Management der «Ware Mensch» – sie bedeutete nicht weniger, sondern mehr Arbeit.

Teilzeitarbeit, wie wir sie heute kennen, ist das Resultat eines radikalen Wandels im 19. Jahrhundert: Arbeit wurde zu Erwerbsarbeit. Lohnabhängige krampften nun in der Fabrik, um ihr Überleben zu sichern. Die neue Wirtschaftsordnung verlangte Flexibilität: Wenns viel zu tun gab, wurden Temporärarbeiter für einzelne Tage oder Wochen angeheuert, liefs schlecht, wurden sie wieder entlassen. Aber erst die Sonntagsruhe brachte im frühen 20. Jahrhundert die Teilzeitarbeit: Vollzeitkräfte genossen nun einen freien Tag, doch nicht alle Betriebe konnten sonntags schliessen. Aushilfsarbeiter im Teilzeitpensum hielten am Ruhetag den ÖV sowie die Strom- und Gasversorgung aufrecht.

Auch Frauen arbeiteten Teilzeit, besonders im Verkauf. Da der meiste Umsatz nachmittags gemacht wurde, stellten Kaufhäuser junge «Fräuleins» als Halbtagskräfte ein. Verheiratete Frauen waren hingegen verpönt. Wenn es irgendwie ging, war der Mann der Alleinernährer. Am Bankschalter galten Ehefrauen als unseriös, Coiffeusen über 25 Jahren wurden gar nicht eingestellt – und überhaupt war die Heirat ein Kündigungsgrund.

Das änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Wirtschaft boomte, und Arbeitskräfte mussten her – die Frau sollte aber weiterhin Hausfrau und Mutter bleiben. Teilzeitarbeit war die Lösung, eine Win-win-Situation für Wirtschaft und Ehemänner. «Bei uns können Sie im Sonntagskleid am Fliessband stehen», lockte Siemens. Und die Frauen selbst? Mehr als «zuverdienen» war nicht drin, und soziale Absicherung gabs kaum. Mitten im Wohlstandswachstum etablierte sich die wirtschaftliche Schlechterstellung der Ehefrauen.

Teilzeitarbeit ist also tatsächlich ein Wohlstandsphänomen. Aber anders als gedacht. Denn mehr Freizeit, eine bessere Work-Life-Balance oder der «Papitag» sind das Privileg der wenigen, die es sich leisten können. Für die grosse Masse ist Teilzeit jedoch kein Lifestyle. Sondern die harte Realität prekärer Arbeit – mit tiefem Lohn, wenig sozialer Absicherung und dem Risiko der Altersarmut.

Britta-Marie Schenk forscht als Professorin an der Universität Luzern zur Neuesten Geschichte. Historiker Daniel Allemann ist Spezialist für das Mittelalter und die Renaissance in Luzern. Gemeinsam verbinden sie historische Ereignisse mit der aktuellen Zeit.


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