Freund will nicht zum Sozialdienst – Thomas Meyer rät
«Hören Sie auf, ihn zu unterstützen!»

Ein Bekannter von mir, selbständiger Grafiker, hat schwere finanzielle und gesundheitliche Probleme. Ich unterstütze ihn immer wieder, weil er sich weigert, zum Sozialdienst zu gehen. Er will es unbedingt selber schaffen. Was kann ich tun, damit er sich helfen lässt?
Publiziert: 12.04.2021 um 07:33 Uhr
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Aktualisiert: 23.04.2021 um 16:49 Uhr
Thomas Meyer

Die Frage ist hier vor allem: Was können Sie tun, um sich zu helfen? Es ist nobel, dass Sie jemanden in Not unterstützen, aber man sollte das nur bedingt tun, da erstens tatsächlich der Sozialdienst dafür da ist, und zweitens die Probleme oft viel tiefer liegen. Niemand, der in Not steckt, ist über Nacht da hineingeraten. Da gab es schon vorher destruktive Verhaltensweisen und falsche Entscheidungen, deren
Konsequenzen sich über Jahre aufeinandergestapelt haben. Wenn Sie also nun kommen und eine dieser Schichten abtragen, indem Sie beispielsweise aktuelle Mietschulden tilgen, dringen Sie damit nicht zur Wurzel des Übels vor, sondern verschaffen diesem vielmehr eine Atempause. Hier wirkt ein negatives System, und wie alle Systeme will auch dieses überleben.

Im Fall Ihres Bekannten heisst der entsprechende Satz: «Ich will es selber schaffen.» Aber offenbar gelingt ihm das ja nicht, und seine Weigerung, Hilfe anzunehmen, ist demzufolge nicht als falscher Stolz zu werten, sondern vielmehr als perfekte Massnahme, um sein dunkles System am Leben zu erhalten. In diesem haben Sie offenbar eine tragende Rolle: Sie sind der verständnisvolle Tröster, der immer zuhört und den Geldbeutel öffnet, sobald es wirklich eng wird. Wie gesagt: Das ist edel. Aber ist es auch klug? Helfen Sie Ihrem Freund damit wirklich – oder halten Sie ihn nicht vielmehr in seiner Unfähigkeit fest, sein Leben in den Griff zu bekommen?

Thomas Meyer, Autor.
Foto: Thomas Meier

Helfen ist gut und richtig, aber nicht, wenn es missbraucht wird. Sie sollten Ihre Unterstützung sofort einstellen, auch auf der freundschaftlichen Ebene. Überlassen Sie die Behandlung dieses Falls den Profis und kümmern Sie sich wieder um sich selbst und um Dinge, die Ihnen guttun, statt Sie herunterzuziehen. Wie heisst es doch: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

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