Empathie – Thomas Meyer rät
«Es ist eine Haltungsfrage»

Wieso können wir nicht empathischer sein gegenüber Flüchtlingen und sozial Schwachen?
Publiziert: 16.10.2021 um 18:27 Uhr

Weil Mitgefühl eine Eigenschaft ist, die einem angeboren ist oder eben nicht. Es gibt Menschen, die gänzlich empathielos sind und auch dann noch nicht kapieren, was ihr Gegenüber empfindet, wenn man es ihnen stundenlang erklärt. Das ist für private Beziehungen eine Katastrophe, für geschäftliche und politische Karrieren hingegen ein Glückstreffer, weil man so sämtliche Konkurrenz sorglos aus dem Weg räumen kann.

Auf der anderen Seite empfinden die Empathischen die Energien in ihrem Umfeld so stark und deutlich, dass sie regelmässig überwältigt sind davon und manchmal, vor allem in jungen Jahren, alles auf sich beziehen. Das macht sie rücksichtsvoll und hilfsbereit, aber weil sie so sehr wollen, dass es allen gutgeht, nehmen sie sich selbst völlig zurück – und bleiben dabei oft auf der Strecke.

Flüchtlinge, Arme, Süchtige und Opfer von Gewalt brauchen aber ohnehin keine Empathie. Was sie brauchen, ist Respekt, und im Gegensatz zum Mitgefühl ist Respekt etwas, zu dem man sich selbst aufrufen und das man lernen kann. Es ist eine schlichte Haltungsfrage. Man kann die Folgen der Migration missbilligen und dennoch Achtung haben vor den Menschen, die auf der Flucht sind, und ihrer Not. Man kann bestimmte politische Haltungen ablehnen, aber dennoch anständig reden mit jenen, die sie
vertreten. Es gibt keinen Grund, irgendjemanden abzuwerten.

Flüchtlinge brauchen Respekt, findet Thomas Meyer.
Foto: AFP

Getan wird es dennoch andauernd, derzeit wohl so passioniert wie selten zuvor. Wer anders aussieht, anders denkt, anders glaubt und anders lebt, dem wird heute sofort der Tod an den Hals gewünscht – eben weil wir kaum noch Respekt voreinander haben. Dieses Problem macht leider auch vor Freundschaften, Beziehungen und Familien keineswegs halt. Und vielleicht fangen wir am besten genau dort an: bei uns selbst.

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