Editorial von SonntagsBlick-Vize Reza Rafi
Jonas

Erinnerungen an den genialen Zürcher Musiker, Komponisten und Lebenskünstler Jonas Guggenheim (1978–2020).
Publiziert: 11.07.2021 um 13:13 Uhr
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Aktualisiert: 16.07.2021 um 15:38 Uhr

Auf dem Pausenplatz fiel sein helles, euphorisches Lachen auf. Jonas Guggenheim, der quirlige Wuschelkopf aus Höngg, begegnete mir erstmals in der Parallelklasse des Realgymnasiums Rämibühl. Er war natürlich bei den Altsprachlern, Typus A hiess das damals. Man hatte ihn ein Jahr früher eingeschult. Wie ein fröhlicher kleiner Gott kam er mir manchmal vor, der schon alles weiss.

In so mancher Turnstunde schlichen wir zusammen ins Musikgeschäft Jecklin. Oder ins Kunsthaus, wo sich uns Schülern ein kostenloser Blick auf eine neue Welt eröffnete.

Während unsereins noch im pubertären Taka-Tuka-Land schlummerte, schrieb Jonas hochgelobte Aufsätze über den kulturellen Graben zwischen Ost- und Westjuden oder die Bedeutung der Demut im Alten Testament. Aber nie war er ein Klugscheisser, sondern ein Menschenfreund: Er erkannte die Fehler der anderen – und liebte sie dafür. Seine Sorge galt den Schwächsten und unserem Planeten, lang bevor es das Wort Klimajugend gab.

Das Auftrittsverbot während der Pandemie hat ihn belastet.
Foto: Getty Images

Das hielt ihn nicht von der Unbeschwertheit des Heranwachsens ab. Jeder Moment konnte zum Happening werden; im Hinterhof an der Rolandstrasse, im Jugendraum des Gemeinschaftszentrums Riesbach oder in einer der vielen Sommernächte am Zürihorn. In unserer Seefelder Dependance – «Opiumhöhle» pflegte er zu scherzen – wurden wir zu Brüdern Leichtfuss. Dort schien unsere Welt frei und das Leben endlos.

Erste kulturelle Aufmerksamkeit erregte Jonas mit einem Schwarz-Weiss-Film. Für die Maturaarbeit hatte er mit einem Kumpel seine Freunde porträtiert. Der Titel des Streifens war Programm: «Young, Free, and Different». Mein Einsatz gipfelte zum Gaudi aller Beteiligten mit dem Didgeridoo in der Badewanne.

Literaturprofessor hätte er werden können, Intendant oder Chefarzt. Doch wählte er einen viel direkteren Weg, um den Menschen etwas zu geben: die Musik. Ob Jazz oder Folk oder Klezmer oder Tango: Er schien, wenn er mit dem Akkordeon spielte, an einem anderen Ort zu sein. Und nahm das Publikum gleich dorthin mit.

Später füllte er als Mitglied des schweizweit bekannten Trios Zugluft die Konzertsäle. Er komponierte und trat mit seiner Bühnen- und Lebenspartnerin im Duo auf. Sogar ein Musikinstrument hat er erfunden: die «Guggenheim-Box», eine abgefahrene Installation aus Lichtschranken, die, wenn sie vom Darbietenden unterbrochen werden, elektronische Töne erzeugen.

Wir verloren uns irgendwann aus den Augen. Aber was zählt das schon – von Nietzsche gibt es das schöne Wort Sternenfreundschaft. Zwei Himmelskörper nähern und entfernen sich auf ihren Bahnen, aber leuchten hell füreinander.

Ich erfuhr noch von seinem avantgardistischen Wohnprojekt vor den Toren Zürichs. Und davon, wie sehr ihn das Auftrittsverbot während der Pandemie belastet hat.

Corona führt zur Verzögerung von schlechten Nachrichten. Am 6. Dezember 2020 ist das Licht des fröhlichen kleinen Gottes erloschen. Unerwartet und viel zu früh.

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