Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty zum Vegi-Boom
Millionen-Subventionen für Schlachtabfälle können ja auch nicht die Lösung sein

Vegetarier und Veganer sind der Stachel im Fleisch eines jeden Steakliebhabers. Für unsere Bauern ist der Trend zu mehr pflanzlicher Kost allerdings eine Chance und keine Bedrohung.
Publiziert: 30.01.2022 um 00:55 Uhr
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Aktualisiert: 30.01.2022 um 05:54 Uhr

Der Begriff «vegetarisch» leitet sich ab vom lateinischen «vegetus», was rüstig, lebhaft, munter bedeutet. Zum ersten Mal taucht er Mitte des 19. Jahrhunderts auf. «Vegan» ist eine 1944 geschaffene Kurzform des englischen «vegetarian» – ein Kunstwort also. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass es in den Ohren vieler so befremdlich klingt.

Vor allem aber ist da die Sache mit der Moral. Die deutsche Albert-Schweitzer-Stiftung etwa wirbt für eine vegane Lebensweise, den vollständigen Verzicht auf tierische Produkte, ausdrücklich so: «Anstatt sich auf das Recht des Stärkeren zu berufen, schlagen wir vor, unsere relativ gut ausgeprägte Fähigkeit, ethisch und moralisch zu handeln, auch zu nutzen.» Nicht umsonst stehen Vegetarier – und sehr viel mehr noch die Veganer – im Ruf, sich ihren Mitmenschen moralisch überlegen zu fühlen. Allein schon darum sind sie der Stachel im Fleisch eines jeden Steakliebhabers.

Wo Moral ist, wird auch gepredigt. Die Zahl der Bücher, die für eine vegane Lebensweise werben, lässt sich nicht mehr überblicken. 2014 wurde zum ersten Mal der Veganuary ausgerufen – heuer haben die Detailhändler den pflanzlichen Januar so prominent beworben wie nie zuvor. Seit ein paar Monaten setzt die Mensa der Universität Luzern vornehmlich auf vegan-vegetarische Gerichte. An der Uni Zürich ist seit Anfang Jahr mindestens die Hälfte des kulinarischen Angebots vegan oder vegetarisch.

Moral, Moralismus, Messianismus: Versucht hier eine radikale Minderheit selbstgerechter, wohlstandsverwahrloster Ideologen dem wehrlosen Fleisch- und Käseliebhaber eine völlig unnatürliche Lebensweise aufzuzwingen?

Ein Blick in die Staatsrechnung des Bundes. Im Jahr 2020 flossen 2,8 Milliarden Franken als Direktzahlung in die Landwirtschaft. Weitere 80,6 Millionen wurden in die «Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen» eingeschossen.

Hinzu kamen Subventionen spezifisch für Vieh- und Milchwirtschaft:

– 34 Millionen für die Tierzucht
– 30,3 Millionen für Tierfutter
– 5,7 Millionen für Schlachtvieh und Fleisch
– 47,5 Millionen für die Entsorgung von Schlachtabfällen
– 192 Millionen für die Verkäsung von Milch
– 149,4 Millionen für Trinkmilch

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Zusätzliche 32,3 Millionen gingen in die Absatzförderung von Milchprodukten, 5,5 Millionen ins Marketing für Fleischwaren.

Die Veganer könnten noch so bissig auftreten: Gegen eine mit derart viel Bundesmitteln gemästete Industrie kommen sie nicht an. Wenn auf den Tellern von Herrn und Frau Schweizer jetzt trotzdem mehr und mehr pflanzliche Kost landet, sind andere Kräfte im Spiel.

Zu denken wäre an zunehmende Urbanisierung oder wachsendes Gesundheitsbewusstsein. Und ja: Vermutlich ist die Fleisch- und Milchindustrie schlicht übermästet. Ein Fünftel der Schweizer Treibhausgase stammt aus der Nutztierhaltung. Ein weiterer Schadstoff ist Ammoniak, das aus Ställen und beim Güllen in die Luft entweicht. Das schleckt keine Geiss weg: Gerade bei jungen Konsumentinnen und Konsumenten spielt der Umweltgedanke eine entscheidende Rolle, wenn sie pflanzliche Nahrung der tierischen vorziehen.

Vor vier Jahren veröffentlichte das Bundesamt für Landwirtschaft einen Bericht, worin noch abschätzig vom «vegan hype» die Rede ist. 2021 gab die gleiche Behörde nun aber den ersten «Fleischersatz-Report» heraus. Dort finden sich Sätze wie: «Für die Schweizer Landwirtschaft bietet der Markt für Fleischersatzprodukte grosses Potenzial, insbesondere in Bezug auf die Produktion pflanzlicher Rohstoffe. Diese Potenziale werden bislang kaum genutzt.»

Das Bundesamt für Landwirtschaft ist zuständig für die Verteilung der oben aufgelisteten Milliarden-Subventionen. Wenn man sich sogar in der Herzkammer der Milch- und Viehwirtschaft offen zeigt für mehr pflanzliche Kost, dann heisst das, dass sich dieses Thema nicht mehr vom Tisch wischen lässt.

Die Moral der Geschichte: Unsere Bauern sollten darin eine Chance sehen, keine Bedrohung. In diesem Sinne guten Appetit!

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