Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Schweizer Chip in Putins Kriegsdrohne – Bund sagt: Na und?

Drohnen fliegen politisch weitgehend unter dem Radar. Dabei ist das Thema viel zu bedeutend und viel zu brutal, als dass man sich einfach auf den Standpunkt stellen könnte: Es sind nun einmal handelsübliche Industriegüter. Genau das ist aber die Haltung des Bundes.
Publiziert: 12.06.2022 um 00:45 Uhr
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Aktualisiert: 21.11.2022 um 13:37 Uhr
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Gieri CaveltyKolumnist SonntagsBlick

Die Schweiz liefert keine Waffen an die Ukraine. Und findet nach langen Wochen des Nachdenkens dann doch spitzfindige juristische Argumente, um wenigstens eine Sendung Panzerfäuste auf den Weg zu bringen: Indem man sie formell Grossbritannien überlässt.

Dieser neutralitätspolitische Eiertanz wirkt umso bizarrer, als es in Bern niemanden interessiert, dass Putins Truppen mit Schweizer Technologie ausgerüstet sind. Ihre Orlan-10-Drohnen fliegen dank des GPS-Chips einer Firma aus dem Kanton Zürich und werden bereits seit Jahren als Kriegsgerät in der Ostukraine eingesetzt. Der Bund weiss das längst, argumentiert jedoch: Viele der in Drohnen verbauten Komponenten seien handelsübliche Industriegüter. Da könne man nichts machen, wenn sie für militärische Zwecke missbraucht würden. Das Staatssekretariat für Wirtschaft hat den Export von Drohnen und Drohnenbestandteilen nach Russland erst vor drei Monaten verboten – im Rahmen der allgemeinen Wirtschaftssanktionen gegen Moskau.

Orlan bedeutet «Adler», und als Späher waren diese Drohnen zunächst auch unterwegs. Dass sie mit Schweizer Technologie fliegen, ist an sich schon schlimm genug. Im aktuellen Vernichtungsfeldzug gegen die Ukraine rüstet Russland das Gerät nun aber sogar mit Granaten aus. Die Orlan-10 operiert heute ganz unmittelbar als Tötungsmaschine. Was nach Improvisation klingt, ist kein ungewöhnlicher Vorgang: Auch die bekannteste Killerdrohne, die amerikanische Predator (englisch für «Raubtier»), war zunächst ein Aufklärungsflugzeug und wurde erst später mit Raketenwerfern ausgestattet.

Gieri Cavelty, SonntagsBlick-Chefredaktor
Foto: Paul Seewer

Überhaupt hört sich bei Drohnen zuerst alles immer vollkommen harmlos an. Viele dienen einem guten Zweck, ihre Einsatzmöglichkeiten reichen von Landvermessungen über lebenswichtige Lufttransporte bis hin zum Picknickservice für bequeme Wanderer. Rechtlich gesehen gibt es in der Schweiz heute gar keine Drohnen: Bis zur Übernahme einer entsprechenden EU-Regelung gelten sie als Modellflugzeuge – als Spielzeug also. Militärs auf der ganzen Welt mögen sie, weil sie im eigentlichen wie im übertragenen Sinn kaum Lärm verursachen. Sie kosten wenig und schonen das Leben der eigenen Soldaten.

Inzwischen hat ein globales Wettrüsten der Militärdrohnen eingesetzt. Spätestens seit dem 44-Tage-Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien um die Kaukasusregion Bergkarabach im Herbst 2020 gelten sie als das grosse Ding: Dank des Einsatzes sogenannter Kamikazedrohnen ging Aserbaidschan damals als Sieger hervor. Diese Apparate können stundenlang am Himmel kreisen, bis sie per Fernbedienung mit vollem Karacho in ein feindliches Ziel gesteuert werden. Die Schweiz besitzt bislang keine bewaffneten Drohnen. Als eine Lehre aus dem Krieg um Bergkarabach will sich jetzt aber auch unsere Armee mit dem Einsatz von Kamikazedrohnen befassen, wie sie auf Anfrage mitteilt.

Russische Drohnen fliegen mit Schweizer GPS-Chips. In den vergangenen fünf Jahren bewilligte der Bund ausserdem die Ausfuhr fixfertiger Dual-Use-Drohnen in Unrechtsstaaten wie Eritrea und China – «Dual-Use» bedeutet, dass die Maschinen zivil wie militärisch genutzt werden können. Ebenfalls grünes Licht gab es im letzten Jahr für die Lieferung von elf Drohnen an die Luftwaffe von Saudi-Arabien – mithin an einen Staat, der im Nachbarland Jemen einen grausamen Krieg führt.

Kleinere Drohnen werden von der Luftabwehr oft nicht erkannt, weil sie für Vögel gehalten werden. Auch politisch fliegen die Drohnen weitgehend unter dem Radar. Dabei ist das Thema viel zu bedeutend und viel zu brutal, als dass man sich einfach auf den Standpunkt stellen könnte: Es sind nun einmal handelsübliche Industriegüter. Und wenn sie als Tötungsmaschine eingesetzt werden, ists halt Pech.

Wenn die Schweiz die Drohnen weiterhin ignoriert, kann sie sich die Debatte um ihre Neutralität gleich ganz sparen.

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