Zwei Mal Ja: Mehrere Umweltorganisationen haben ihre Abstimmungskampagne für die Trinkwasser- und die Pestizidverbotsinitiative lanciert. (Themenbild)

Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Die ungesunde Nähe des Bundes zur Pestizid-Industrie

Bei den Abstimmungen zu Pestizid- und Trinkwasser-Initiative geht es nicht allein darum, ob wir unsere Umwelt und unsere Gesundheit besser schützen wollen. Beide Vorlagen sind eine Kampfansage an das mächtigste Kartell des Landes, den «agro-industriellen Komplex».
Publiziert: 09.05.2021 um 09:53 Uhr

Agroscope ist eine Zweigstelle des Bundesamtes für Landwirtschaft, zuständig für Forschung und Politberatung. Diese Woche wurde dort ein neuer Leiter für den Bereich «Pflanzen und pflanzliche Produkte» ernannt – das künftige Geschäftsleitungsmitglied war einst beim Basler Pestizidhersteller Syngenta tätig. Auch der Leiter «Pflanzenschutz» bei Agroscope ist ein früherer Syngenta-Mitarbeiter. Der Leiter Pflanzenschutz bei Syngenta wiederum sitzt im Wissenschaftsrat von Agroscope …

Eine solche Nähe zwischen einer Bundesstelle und der Industrie findet sich sonst nirgends. Hier wuchert ein Dickicht aus persönlichen, wirtschaftlichen und ideologischen Verflechtungen. Es ist eines der einflussreichsten Machtkartelle unseres Landes, ein eigentlicher «agro-industrieller Komplex».

Neben Syngenta ist bei Agroscope auch Fenaco gut angeschrieben. Der Konzern erzielt mit seiner Sparte Pflanzenschutz einen jährlichen Nettoerlös von weit über 300 Millionen Franken. Schon Anfang 2019 erklärte
die damalige Fenaco-Kommunikationschefin an einer von Agroscope ausgerichteten Tagung, wie man der Bevölkerung ein Nein zur Trinkwasser- und zur Pestizid-Initiative schmackhaft machen könne. Oder wie sie es formulierte: «Die Notwendigkeit des Pflanzenschutzes für die Ertrags- und Qualitätssicherung muss besser erklärt werden.» Wenig später lieferte die staatliche Agroscope dafür die Grundlagen: zwei Studien, die vor
den Initiativen warnen und aus denen die Gegner seither fleissig zitieren.

Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Paul Seewer

Zum «agro-industriellen Komplex» gehört auch Christoph Mäder. Vor seiner Berufung zum Präsidenten von Economiesuisse gehörte der Jurist 18 Jahre lang zur Geschäftsleitung von Syngenta. Und mit Ueli Maurer und Guy Parmelin sitzen gleich zwei frühere Fenaco-Verwaltungsräte im Bundesrat.

Offiziell stimmen wir am 13. Juni darüber ab, ob synthetische Pestizide verboten werden sollen (Pestizid-Initiative) respektive darüber, ob nur noch Bauern Subventionen erhalten, die auf Gift verzichten (Trinkwasser-Initiative). Tatsächlich aber geht es bei diesem Urnengang nicht allein darum, ob wir unsere Umwelt und unsere Gesundheit besser schützen wollen. Beide Volksbegehren sind ebenso sehr eine offene Kampfansage an die etablierte Ordnung im Land. So gesehen, weht heute wieder ein Hauch von 1989, als die Initiative zur Abschaffung der Armee die alten Eliten das Fürchten lehrte.

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Allerdings gibt es ein grosses Aber: Mitte April sprachen sich die Delegierten von Bio Suisse gegen die Trinkwasser-Initiative aus. Diese weise zu viele Mängel auf. Zwar befürwortet Bio Suisse die Pestizidvorlage. Insgesamt macht das ökologische Lager im laufenden Abstimmungskampf jedoch einen eher verhaltenen
Eindruck. Biodynamisch geht anders.

Ob sich eines der einflussreichsten Machtkartelle der Eidgenossenschaft von einem Herausforderer schlagen lässt, der nur halb bei der Sache ist? Vieles deutet auf ein doppeltes Nein am 13. Juni hin. Freilich wird die Debatte über Sinn und Zweck unserer Landwirtschaft heute sehr breit geführt. Das nährt die Hoffnung: Diese Geschichte ist längst nicht vom Tisch. Der «agro-industrielle Komplex» wird in Zukunft in jedem Fall nicht mehr derart unbeschränkt schalten und walten können wie bisher.

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