Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Am einfachsten ist es, bei den Kindern zu sparen. Und am dümmsten

Viele Gemeinden sind stolz auf ihre Jahresrechnung 2020. Sie haben gespart, weil wegen Corona lange Zeit keine Schulreisen, Exkursionen und Klassenlager stattfanden. Jetzt wäre es nötig, die Ausgaben für die Bildung hochzufahren. Doch passiert das genaue Gegenteil.
Publiziert: 08.08.2021 um 09:04 Uhr

Was sind Ihre schönsten Erinnerungen an die Schulzeit? Weit vorne liegen vermutlich die Schulreisen. Wobei der genaue Zielort weniger zählt als die allgemeine Aufgekratztheit und das Gefühl gemeinsamen Erlebens. Ihrerseits recht aufgekratzt fühlten sich in den letzten Monaten die Finanzvorsteher in den Gemeinden landauf, landab: Der Jahresabschluss 2020 fiel vielerorts weit besser aus als budgetiert – nicht zuletzt darum, weil wegen Corona lange Zeit keine Schulreisen, Exkursionen und Klassenlager stattfanden. In den Zeitungen las man von «erfreulichen Zahlen» (über Spiringen UR), «sehr erfreulichen Zahlen» (Schattdorf UR) bis hin zu «exzellenten Zahlen» (Cressier FR).

Zofingen hat daraus seine Lehren gezogen. Die Stadt im Aargau schloss 2020 zwar mit einem Plus von über 14 Millionen Franken ab. Trotzdem will sie sparen und bis auf weiteres keine Beiträge mehr an Schulreisen leisten. Dieselbe Idee hatte der Stadtrat von Kriens LU.

Reitnau AG gibt für Lehrmittel weniger aus, Hausen AG für die Bibliothek. Der Kanton St. Gallen spart beim Mittagessen an den Sonderschulen, weitere Einschnitte sind in Planung. Kloten ZH streicht im Bereich «Bildung und Kind» fast fünf Millionen Franken. Im Zürcher Flaachtal werden zwei Lehrerstellen weggekürzt, Wädenswil ZH schliesst ein Primarschulhaus.

Diese unsystematisch zusammengetragenen Beispiele aus jüngster Vergangenheit zeigen: Man spricht zwar gern von der Wissensgesellschaft, in Wahrheit aber handeln wir oft gegen besseres Wissen.

Denn selbstverständlich müssten nach den langen Einschränkungen erst recht Schulausflüge stattfinden. Es ist doch keine Frage, dass man die Bande zwischen den Kindern jetzt unbedingt stärken muss! Und selbstverständlich müssten die Ausgaben für die Bildung insgesamt hochgefahren werden. In der Pandemie kamen Lehrkräfte an ihre Grenzen. Es ist kein Zufall, dass heute selbst Städte wie Zürich und Bern Mühe bekunden, genügend Personal zu finden.

Kein Wunder, weisen Kinder da Lernrückstände auf. Vor lauter Stress und Unsicherheit kamen in den zurückliegenden zwei Jahren gemeinsame Unternehmungen ebenso zu kurz wie der Schulstoff und die Betreuung. Vom Lerndefizit am stärksten betroffen sind jene, die schon vorher Schwierigkeiten hatten, in erster Linie Kinder aus Familien mit tiefem Einkommen.

Die Schweiz war immer stolz auf ihr gutes Bildungssystem, das allen offensteht und jedem einen Weg in die Gesellschaft ebnen kann. Corona zehrt an dieser Errungenschaft.

Seit Jahren wächst die Zahl der Privatschulen. Heute gibt es 381 privat geführte Primarschulen, fast 30 Prozent mehr als 2010. 15 Prozent beträgt der Zuwachs bei den Gymnasien. Nach dem Corona-Schock kann man jene Eltern nur allzu gut verstehen, die ihre Kinder fortan lieber privat unterrichten lassen. Zu vieles hat an öffentlichen Bildungsstätten nicht funktioniert. Weil Klassen mit bis zu 30 Schülern überfüllt und Lehrpersonen überfordert waren. Weil es bis heute an Tabletcomputern für den Heimunterricht mangelt. Weil die Politik die Menschen im Stich lässt und lieber spart.

Die aktuelle Ausgabe des SonntagsBlick-Magazins ist dem bevorstehenden Schulstart gewidmet. Während dieses Editorial die Defizite hervorhebt, lassen wir im Magazin die Kinder sprechen: Sie freuen sich aufs neue Schuljahr! Es ist an uns Erwachsenen dafür zu sorgen, dass sie nicht enttäuscht werden.

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