Claude Cueni über einen Coup der Werbewirtschaft
Cola für den Weihnachtsmann

Vor 50 Jahren jagte der Samichlaus mit seinem Gefolge den Kindern noch einen Schrecken ein. Doch aus Angst, ihre fragile Psyche zu verletzen, verschwand sein Henkersknecht.
Publiziert: 12.12.2019 um 23:17 Uhr
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Aktualisiert: 06.02.2020 um 21:27 Uhr
Claude Cueni

Er hiess Bischof Nikolaus von Myra und lebte in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts in der heutigen Türkei. Als er hörte, dass ein Mann seine drei Töchter auf den Strich schicken wollte, weil er sie mangels Mitgift nicht verheiraten konnte, schlich er sich nachts zum Haus der drei Jungfrauen und warf drei Goldklumpen durchs Fenster. Aus der Legende wurde ein Brauch. Fortan geisterte Nikolaus durch die Jahrhunderte und legte Kindern Geschenke in die Schuhe – eine Grosszügigkeit, die heute berechtigtes Misstrauen erzeugen würde. Ist das etwa der Grund, wieso nicht sein Geburtstag, sondern der Tag, an dem er starb, gefeiert wird?

Mit seinem Schöpfer wurde auch der Weihnachtsmann dicker

1931 waren seine blauen und goldenen Umhänge zerschlissen, und er kleidete sich in der Garderobe von Coca-Cola neu ein. Der amerikanische Illustrator Haddon Sundblom prägte in den folgenden 33 Jahren das Bild von Santa Claus, die Figur wurde zum Symbol für Weihnachten. Da auch Sundblom im Alter aufgrund des verlangsamten Stoffwechsels an Gewicht zunahm, wurde auch der Bauch des Weihnachtsmannes immer grösser; und wenn enttäuschte Kinder in den 1970er-Jahren klagten, dass der Nikolaus nicht gekommen sei, behauptete man, er sei beim Nachbarn im Kamin stecken geblieben.

Der Schmutzli wurde aus Kostengründen wegrationalisiert

Vor 50 Jahren war der 6. Dezember noch der Tag der Abrechnung. Es waren noch nicht die Kinder, die Erwachsene in Panik versetzten, sondern die Eltern ihre Kinder. Deshalb hatte der Nikolaus stets diesen wortkargen Schmutzli an seiner Seite. Der Mann in Rot erzählte allerlei Fake News über unsere Sünden im ausklingenden Jahr, aber man wagte nicht zu widersprechen, denn hinter ihm stand ebendieser Henkersknecht. Jahrzehnte später wurde er oft wegrationalisiert, um Kosten zu sparen, aber vor allem um die fragile Psyche der Helikopter-Kinder nicht zu verletzen. Das war gut gemeint, denn Gewalt ist keine Lösung. Aber wer dem Schmutzli nie in die Augen geschaut hat, hatte es im späteren Leben schwer, denn an jeder Arbeitsstelle mobbt ein Folterknecht.

Schriftsteller und BLICK-Kolumnist Claude Cueni.
Foto: Thomas Buchwalder

Spätestens beim ersten schneefreien Winter merkten die Kinder, dass der Weihnachtsmann nicht auf einem Schlitten vorfährt, sondern in einem SUV. Und dann war es keine grosse Überraschung mehr, dass der dicke Mann in Rot Onkel Albert war.

Claude Cueni (63) ist Schriftsteller und lebt in Basel. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK. Soeben erschienen sind seine ersten 50 BLICK-Kolumnen unter dem Titel «Die Sonne hat keinen Penis» als Buch.

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