Einsam im US-Lockdown
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Corona-Alltag in Kalifornien:Einsam im US-Lockdown

BLICK auf die USA: US-Korrespondent Nicola Imfeld über das Leben mit der totalen Ausgangssperre in Kalifornien
Einsam im US-Lockdown

Jede Woche schreibt USA-Korrespondent Nicola Imfeld in seiner Kolumne über ein Thema, das jenseits des Atlantiks für Aufsehen sorgt. Heute geht es um das einsame Leben mit der totalen Ausgangssperre in Kalifornien.
Publiziert: 17.04.2020 um 08:10 Uhr
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Aktualisiert: 17.07.2020 um 02:07 Uhr
Nicola Imfeld aus San Diego (USA)

Vier Wochen dauert der Lockdown in Kalifornien bereits an. Bars und Restaurants wurden schon Anfang März dichtgemacht. Und seit einer Weile herrscht gar die sogenannte «totale Ausgangssperre». Wer unnötig rausgeht, riskiert eine Busse in der Höhe von bis zu 1000 Dollar oder eine sechsmonatige Gefängnisstrafe.

Der Lockdown stellt Menschen aus aller Welt auf die Probe. Ob bei euch in der Schweiz oder bei mir in den USA: Oft liest man von den Problemen, die Familien nun haben. Von der propagierten «Entschleunigung» scheinen sie nicht zu profitieren. Ich bin zwar kein Vater, aber ich kann es mir gut vorstellen: Papa und Mama sind froh, wenn die Kinder wieder zur Schule gehen können. Auch wenn viele öffentlich von der gemeinsamen Zeit als Familie schwärmen.

Besonders schlimm trifft es aber viele Eltern hier in den USA: Sie sind darauf angewiesen, dass ihre Kinder in die Schule gehen. Dort kriegen sie etwas auf den Teller. Zu Hause, wo das Geld ohnehin schon immer knapp war, reichen die finanziellen Mittel kaum für genügend Nahrung. Gut möglich, dass Vater wegen Corona auch noch den Job verloren hat und die Situation noch prekärer ist als sonst.

Nicola Imfeld, USA-Korrespondent der Blick-Gruppe.
Foto: Zvg
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Das Corona-Problem der Singles

Von solch schwerwiegenden Problemen bleibe ich verschont. Beklagen darf ich mich eigentlich nicht, bin ich doch privilegiert: Ich habe einen Job bei einem Schweizer Unternehmen, der mir Spass macht und den ich behalten kann. Ich lebe in einer Wohnung, die ich mir weiterhin leisten kann. Und ich habe keine Rasselbande zu Hause, muss mich nur um mich selbst kümmern. Alles easy also? Nicht immer.

Auch Alleinstehende können unter der Corona-Krise leiden, auch wenn nur selten über sie berichtet wird. Klar: Die grosse Mehrheit der Menschen lebt in einer Beziehung oder hat eine Familie. Aber wer zu diesen Zeiten Single ist und dazu auch noch alleine in einem strikten Lockdown-Regime lebt, steht vor einer grossen Leere: der Einsamkeit.

Ich halte mich seit Anfang an strikt an die Weisungen der Behörden. Ausser zum Einkaufen verlasse ich die Wohnung nicht. Normalerweise wäre ich um diese Jahreszeit am Strand mit einer Kollegin, beim Fussballspielen mit Teamkollegen oder in der Bar mit Freunden. Jetzt aber bin ich seit gut einem Monat ganz alleine, beinahe ohne menschliche Beziehungen. Die Familie und die besten Freunde leben allesamt in der Schweiz. Mein Mitbewohner gesellte sich unmittelbar vor dem Lockdown verständlicherweise zu seiner Freundin.

Das anonyme Leben in einer Grossstadt

Einsamkeit ist ein mentales Problem, mit dem junge Menschen sonst nur selten konfrontiert sind. Gerade deshalb und weil so unvermittelt, trifft es uns jetzt besonders hart. In meiner Gegend geht es vielen gleich. Ich lebe in einem Wolkenkratzer in Downtown San Diego – also im Herzen der schönsten Stadt Amerikas. Rundherum Hochhäuser, mehrheitlich bewohnt von internationalen Studenten oder jungen Arbeitnehmenden aus aller Welt. Familien sucht man hier vergebens.

Es ist eine ganz besondere Community. Vor der Corona-Pandemie hat man am Wochenende irgendwo zusammen gefeiert. Am Montag ist man zum typisch anonymen Alltag einer Grossstadt übergegangen. Die Nachbarn hat man vielleicht einmal zufällig angetroffen, ohne ihren Namen zu kennen.

Jetzt aber ist alles anders: Irgendein Typ, der sonst jeweils irgendwelche Partys bewirbt, hat einen Gruppenchat für die einsame Nachbarschaft erstellt. Innert kürzester Zeit kamen so rund 100 Personen miteinander in Kontakt – und haben Gewaltiges auf die Beine gestellt.

Lichter, Feuerwerk, Kuhglocken

Immer um 20 Uhr klatscht San Diego für die Menschen im Gesundheitswesen. In unserem Stadtteil haben wir die Aktion nun selbstständig auf ein neues Level gehoben. Das Motto von uns: Für die Helden im Gesundheitswesen, gegen die Einsamkeit. Gestartet vor gut zwei Wochen spielen mittlerweile Dutzende Hobby-DJs gleichzeitig dieselbe Musik. Hinzu kommt eine atemberaubende Lichtshow, an der sich mittlerweile Hunderte beteiligen. Feuerwerk wurde bereits abgelassen, und Kuhglocken habe ich auch schon gehört!

Am vergangenen Samstag hat die Polizei und Feuerwehr von San Diego mitgemacht: Ihre Einsatzfahrzeuge parkierten auf der zentralen Kreuzung unserer Nachbarschaft. Exakt um 20 Uhr liessen die Beamten die Sirenen aufheulen – zusammen mit der Lichtshow und den tanzenden Menschen auf den Balkonen ein unvergessliches Spektakel.

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Warten, bis die Lichter wieder angehen

An Wochentagen ist der Spuk nach etwa zehn Minuten vorbei. Dann, wenn alle ihre Lichter ausmachen und wieder in die eigenen vier Wände zurückkehren, setzt ein mulmiges Gefühl ein: Wieder 23 Stunden und 50 Minuten warten, bis die Lichter wieder angehen.

Keine Frage: Familien oder Angehörige von Betroffenen machen eine unfassbar schwierige Zeit durch. Wir gesunden Singles gehören zu den Privilegierten dieser Corona-Gesellschaft. Und trotzdem geht es uns nicht immer gut. Aber gemeinsam, und mit dem kalifornischem Spirit, kann man die Leere etwas füllen und erträglich gestalten. Hoffen wir, dass nach der Corona-Krise etwas davon übrig bleibt.

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Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.

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