Kolumne #aufbruch
Kein kopfloser Kaufrausch

Bald ist fertig mit der Konsum-Quarantäne. Geschäfte werden wieder öffnen. Aber wir sind nicht mehr dieselben. In der Corona-Krise hatten wir Zeit nachzudenken, wie und was wir künftig kaufen wollen.
Publiziert: 28.04.2020 um 23:15 Uhr
|
Aktualisiert: 04.05.2020 um 15:17 Uhr
Patrizia Laeri

Wir Konsumenten haben es jetzt in der Hand. Wir können einen Unterschied machen. Und wir können unsere Luxussituation nutzen – dank Kurzarbeit haben viele ihre Jobs und Einkommen noch – und verantwortungsvolle Marken stärken. Wir können mit unserem Portemonnaie in Corona-Zeiten Leben retten.

Mode ist in Bangladesch ein Stoff, von dem das ganze Land abhängt. Bereits die Hälfte der mehr als vier Millionen Textilarbeiter – meist Frauen – hat ihre Arbeit verloren. Eine mühselige, miserabel bezahlte Arbeit, die aber oft ganze Familien ernährt. Sie stehen nun hungrig auf der Strasse, weil grosse Modeketten wie der britische Topshop, die deutsche C&A und die amerikanischen Urban Outfitters besonders kaltblütig geschäften. Sie haben fertig fabrizierte Ware abbestellt und nicht bezahlt. Sie nutzen damit die gängige, ausbeuterische Praxis. Stoffe, Knöpfe, Löhne: Alles schiessen die Nähstuben des bitterarmen Landes vor. Die Grossen wälzen seit jeher jegliche Risiken auf die kleinen Lieferanten ab. Die Armen finanzieren so die Reichen. 120 Tage, vier Monate, lassen sich die Modegiganten mittlerweile Zeit, um Rechnungen zu bezahlen. Das überlebt kein Zulieferer. Dieses knallharte Optimieren von Zahlungsfristen treibt sie reihenweise in den Ruin.

NGOs berichten, dass das dänische Mutterhaus von Vero Moda, Jack & Jones und Only sowie die amerikanische Gap nicht nur Bestellungen absagen, sondern auch auf bereits verschiffter Ware Rabatte rauspressen wollen. Laut dem bangladeschischen Textilverband weigern sich 72 Prozent der Modemarken, welche Aufträge annulliert haben, die Kosten des Rohmaterials zu tragen – und 91 Prozent die Kosten der Produktion, sprich die Löhne der Arbeiterinnen.

BLICK-Kolumnistin Patrizia Laeri über den Kauf von Billig-Kleidung.
Foto: Thomas Buchwalder

Die billigen Zulieferer waren lange gut genug für schöne Profite. Kaum kriselt es, lässt man sie fallen. Wer in Bangladesch nicht arbeitet, der verhungert. Als apokalytisch beschreibt die Präsidentin des Textilverbandes, Rubana Huq, die Lage der Kleidermacherinnen. Die Modeindustrie gewichtet die Interessen der Aktionäre höher als jene der Arbeiterinnen.

Menschenverachtendes Pandemie-Krisenmanagement à la Gap, Topshop, C&A, Urban Outfitters und Bestseller könnte sich als Bumerang erweisen. Wer auf dem Rücken der Schwächsten geschäftet, muss sich nicht wundern, dass die Stärkeren ihre Rücken nicht mehr mit diesen Marken bekleiden wollen.

Immerhin, die schwedische H&M und die spanische Inditex sollen sich gesprächsbereiter zeigen als andere. Aber warum nach der Krise überhaupt noch auf Wegwerfmode setzen? Es gibt genug nachhaltige Modemarken. Wie wäre es gar, wenn wir Kleider von Marken kaufen, die einen grossen Teil des Gewinns mit den Näherinnen teilen? Wie Ninety Percent, das 90 Prozent des Profits wohltätig teilt, unter anderem mit den Arbeiterinnen.

Die Pandemie hat die unmenschlichen Praktiken einer ganzen, fadenscheinigen Industrie entblösst. Konsumentinnen werden sich daran erinnern, wie sich Marken während der Krise gegenüber ihren Mitarbeitern und Lieferanten verhalten haben. Corona wird die Ära der Wegwerfmode wohl nicht beenden, aber der Druck nimmt zu. Was also tun, wenn die Läden wieder öffnen? Ein Zeichen setzen. Nur Marken mit Herz kaufen. #aufbruch

* Patrizia Laeri (42) ist Wirtschaftsredaktorin und -moderatorin von «SRF Börse» und «Eco» sowie Beirätin am Institute for Digital Business der HWZ. Sie schreibt jeden zweiten Mittwoch für BLICK.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?