Frank A. Meyer – die Kolumne
Von oben herab

Publiziert: 12.03.2023 um 00:37 Uhr
Frank A. Meyer

Die Schweiz lässt also auch in Zukunft nicht zu, dass andere Staaten Kriegsmaterial weitergeben, das sie ihr abgekauft haben. Auch nicht an die Ukraine. So hat es der Nationalrat diese Woche beschlossen – ein politischer Akt von internationaler Bedeutung, weil von globaler Beachtung.

Die Schweiz ist die Schweiz ist die Schweiz!

Worin besteht dieses ostentative Schweizsein? In der Souveränität – unserem liebsten Fremdwort, das zum berndeutschen Wortschatz ebenso zählt wie zum appenzellischen. Politiker führen es im Mund, als hätten sie es schon früher gekannt als «Mama» und «Papa» – als erstes Wort überhaupt.

Deshalb liegen wir nun mit der halben Welt im Streit, vor allem natürlich mit Europa: Unsere Souveränität ist zu wahren gegen
Übergriffe der Europäischen Union, insbesondere gegen deren Gerichtsbarkeit, und zwar durch alle Böden hindurch, wie eine weitere gern gebrauchte Wortwendung lautet. Womit die tief in der eidgenössischen Seele verankerte historische Maxime angesprochen wäre:

Keine fremden Richter!

Ja, die Wirklichkeit der Welt um uns herum bestimmt zwar Wohl und Wehe der schweizerischen Wirklichkeit. Nichtsdestotrotz betrachten wir uns gerne und am liebsten nur jenen Teilen dieser Welt zugehörig, die uns nützlich erscheinen.

Die Welt: um uns herum.

Wir: im Mittelpunkt.

Ein stolzes Bild, dieses Selbstbild. Die Um-uns-herum-Welt bestaunt es auch gebührend, denn es ist eine überaus erfolgreiche Nation, die es ihr vorführt – nicht nur tüchtig, auch kreativ, zudem im Besitz einer werthaltigen Weltwährung. Sollte jemand nichts von der Schweiz wissen, vom Schweizer Franken hat er schon gehört.

Wer nun aber ein derart stolzes Selbstgefühl hegt und pflegt, der müsste auch ein Fremdgefühl dafür haben, dass andere Nationen ihrerseits Wert legen auf Souveränität, auf Selbstbestimmung. Dieser Umkehrschluss von der helvetischen Ich-Betrachtung zur Fremd-Betrachtung liegt doch auf der Hand – oder?

Leider tut er dies nicht. Ganz und gar nicht im aktuellen Kriegsfall Ukraine.

Wie das?

Die Schweiz verweigert Nationen die Weitergabe von Kriegsmaterial, das mit Schweizer Produkten ausgestattet ist oder gänzlich aus solchen besteht. Man muss, geistig frisch, wie wir Schweizer ja nun mal sind, nicht lange nachdenken, um darauf zu kommen, dass die Schweiz damit die Souveränität beispielsweise Deutschlands missachtet. Dass Bern damit das Handeln Deutschlands gegenüber der Ukraine bestimmt.

Dass die Schweiz genau das tut, was sie sich selber nie und nimmer gefallen liesse – über andere Nationen fremdzubestimmen.

Die Schweiz als fremder Richter!

Die Verweigerung von Kriegsmaterial aus Schweizer Produktion bedeutet im tödlich-praktischen Kriegsfall auch die Einmischung in die Souveränität der Ukraine: Wir behindern politisch bewusst den heldenhaften Widerstand einer täglich und stündlich bombengepeinigten Nation gegen ein Verbrecherregime.

Wir verachten an den Ukrainern, was wir für uns selbst hochgemut in Anspruch nehmen: die Volkssouveränität.

Wir Tellensöhne!

Ja, wer in den Bergen sitzt, schaut gerne von oben herab auf die Welt.

Und sieht weit unten die Nationen, denen der Freiheitskampf der Ukrainer am Herzen liegt: als Bittsteller bei der Schweiz für Kriegsmaterial, das sie uns abgekauft haben – als Bittsteller bei der Schweiz, der Ukraine helfen zu dürfen. Die Ukrainer als Bittsteller bei der Schweiz, ihren Freiheitskampf auch mit Kriegsmaterial Schweizer Herkunft führen zu dürfen.

Wer diese Schweiz mag, trete vor – Putin.

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