Frank A. Meyer – die Kolumne
Schutzschildbürger

Publiziert: 16.07.2023 um 01:53 Uhr
Frank A. Meyer

Die Schweiz tritt dem europäischen Raketenschutzschild Sky Shield bei. Wie schön das klingt in dieser unfreundlichen Welt, die Europa erneut mit kriegerischen Kalamitäten bedrängt. In der Ukraine sterben täglich Zivilisten unter Bomben und Raketen. Dringend will das malträtierte Land Mitglied der Nato werden – unter den Schutzschild Europas und die Schutzgarantie der Atommacht USA.

Die Schweiz indes geniesst diesen Schutz seit je mit saturiertem Selbstverständnis, wohlbehütet im Schatten schnöder Bedrohungen – wenn es ernst gilt, wird die Nato es schon richten.

Sicherheit à la carte.

Ja zum aktuellen Schutzschild, nein zur Ächtung von Atomwaffen. Ja zum Kauf von US-Kampfflugzeugen, nein zur Weitergabe von Schweizer Munition an die Ukraine. Mit spitzen Fingern inspiziert die Eidgenossenschaft die Menükarte des nordatlantischen Sicherheitsangebots: Was wählen wir aus? Was mundet uns? Wonach steht uns gerade der Appetit?

Diesen Schutzschild «au choix» geniesst die Schweiz schon lange – nicht nur, was die militärischen Belange betrifft, auch wirtschaftlich ist die tüchtige kleine Nation vor Unbill geschützt, denn sie bedient sich zugleich von der Menükarte der EU. Deren reichhaltige Offerten begutachten und bekritteln die Schweizer ebenfalls – mit dem Selbstbewusstsein von Stammgästen.

Von Ehrengästen!

Die Zierereien um das Rahmenabkommen mit der Europäischen Union liefern ein Beispiel für diese Selbstsicht, ein Theater – bisweilen auch ein Affentheater – um die Beziehung mit der bedeutendsten Wirtschaftsgemeinschaft der Welt, zu der man ja ohnehin gehört, von deren ökonomischem Schutz man ohnehin profitiert. Die Europäische Union vereinigt den Kontinent, die Schweiz thront ohne Mitgliedschaft mittendrin, als bedeutender Partner sogar.
Wozu an diesem Status etwas ändern?

Leider, leider sehen das viele Freunde der Schweiz aus der westlichen Werte-Welt inzwischen anders. Sie ärgern sich über helvetische Verweigerungen. Sie fordern Solidarität. Sie bestehen auf einem europapolitischen Fahrplan. Sie gehen dem Land, das doch kein Wässerchen trüben kann, sogar ans Portemonnaie – «an Russlands Alpenvermögen», wie die USA sich auszudrücken belieben: an die Oligarchengelder.

Die Schweiz als Schatzkammer. Die EU als Schonraum. Die Nato als Schutzschild. Das soll nun nicht mehr gelten? Nicht mehr sein dürfen wie gewohnt?

Ja, so unwägbar ist der Weltenlauf. Auch ewige Gewissheiten ändern sich. Bisweilen über Nacht, wie der Kriminelle im Kreml den helvetischen Kassenwärtern von russischem Kapital mit seinem Krieg klargemacht hat.

Dubiose Einlagen ablehnen, Konten offenlegen, Gelder herausrücken – alles völlig ungewöhnlich aus Sicht der Friedensnation, in den Augen ihres Geldgewerbes ein geradezu geschichtlicher Skandal.

So stellt sich denn die Frage: Wohin will die Schweiz? Ins Abseits? Was will die Schweiz sein? Ein Resort der Reichsten?

Ja, es stehen zwei Schweizen zur Auswahl: die Schweiz der Gier und die Schweiz der Genialität – die eine kritisch kommentiert, die andere international belobigt. Das Land des fortwährenden Abstimmens hat die Wahl. Oder es kann die Entscheidung über sein Selbstbild und seine Geltung in der Welt verschieben und verschieben und verschieben. Das wäre dann die politische Selbstverzwergung der Eidgenossen.

Auch dafür gibt es einen passenden Begriff:

Schutzschildbürger.

Foto: Antje Berghaeuser
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