Frank A. Meyer – die Kolumne
Rad und Tat

Publiziert: 13.02.2022 um 00:26 Uhr
Frank A. Meyer

Das Hamburger Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» meldet in einer fetten Überschrift: «Menschen mit Abitur fahren häufiger Rad.» Da haben wir’s, schwarz auf weiss: Wer gebildeter ist, wer intelligenter ist, wer politisch bewusster ist – strampelt für die Umwelt!

Die Dummen fahren Auto.

Wer sind die Dummen? Es sind die Arbeitnehmer*innen, die früh rausmüssen, die vom Wohnort zum Arbeitsort längere Strecken zu bewältigen haben. Es sind die Mütter, die früh ihre Kinder zur Schule bringen. Es sind die Dienstleister, die früh schon Waren anliefern.

Sie fahren selten Velo. Oder gar nicht.

Die Intelligenzija hingegen hat Zeit, kann sich einrichten in Lebensumständen, für die das Velo als Verkehrsmittel genügt. Man fährt gemütlich zur Uni, die Geschäfte im Quartier sind nah, der Markt mit dem veganen Tagesbedarf liegt gleich um die Ecke. Für solche Leute heisst frühmorgens nicht sechs oder sieben Uhr, sondern neun oder zehn.

Wer zur Bildungselite zählt, lebt privilegiert, am liebsten alternativ. Das Velo gehört dazu.

Ja, das Velo ist für die Grünen das Gefährt des Guten – ein Fetisch. Das Lastenfahrrad ist die Weiterentwicklung des Guten zum Besten. Wer braucht da noch ein Auto? Die Dummen ohne Hochschulreife.

Velowege sind die Triumph-Alleen der Klimakämpfer: dem Bösen abgerungen – dem Auto.

Der Kampf gegen das Auto, in Deutschland gerade mit Autobahnblockaden, in Zürich mit verkehrsbehindernden Fahrraddemos und Parkplatzliquidierung, ist ein Kampf für die Schöne neue Welt. In Berlin, rot-rot-grün regiert, ist die beliebte Einkaufsmeile Friedrichstrasse verkehrsfrei. Bestuhlt und begrünt lädt sie zum Verweilen ein. Zum Flanieren.

Doch seit die Autos fehlen, fehlen dort auch die Menschen. Die Friedrichstrasse ist so gut wie tot.

Was ist bloss in Menschen gefahren, die gern Auto fahren?

Zum Beispiel die Freude, von ihrem Dorf rasch und unkompliziert in die Stadt zu gelangen oder ihrer kleinen Wohnung in einem hässlichen Viertel zu entfliehen. Das Auto, ein Fluchtvehikel der sozial schlechter Gestellten. Für viele junge Mensch*innen ist das verwerfliche Fahrzeug sogar ein Freiheitsvehikel – aufgetunt, in sechs Sekunden von null auf hundert, ab ins Freie, in die Disco, irgendwohin!

Auto bedeutet «selbst» – der narzisstische Fetisch einer Jugend, die nicht das Gymnasium genossen hat.

Was aber ist das geheiligte Velo? Unpraktisch, wenn es regnet; noch unpraktischer, wenn es kalt ist; wenig sinnvoll für eine Familie, die ins Grüne will; nicht praktikabel in einer Stadt mit Steigungen.

Velofahren ist Selbstbeschränkung, insofern Sinnbild für die grün-gymnasial-akademische Utopie einer ökologisch disziplinierten Gesellschaft – von klimagerecht erzogenen Bürger*innen. Was übrigens die Grünen in Zürichs Schulen gerade vorhaben: die Verankerung von Klimazielen im Unterricht.

Die Städte werden Landschaften und die Wohnhäuser werden Gartenhäuser und die Menschen werden gut.

Aktivismus jenseits der Wirklichkeit
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Die «Letzte Generation»:Aktivismus jenseits der Wirklichkeit
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