Frank A. Meyer – die Kolumne
Putin als Mass

Publiziert: 24.03.2024 um 00:13 Uhr
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Aktualisiert: 24.03.2024 um 10:22 Uhr
Frank A. Meyer

Walter Wobmann, Wortführer der SVP in Sachen schweizerische Neutralität, weiss Bescheid – auch darüber, wie der Kreml denkt: «In den Augen der Russen sind wir nicht mehr neutral.» Seit der soeben erfolgten Abschaffung jedweder Demokratie in Moskau mittels Vorspiegelung von Wahlen wissen wir:

Die «Augen der Russen» – das sind die Augen Putins.

Diesem Diktatoren-Blick hält die schweizerische Neutralität nicht stand – und das muss dringend korrigiert werden, wie Wobmann fordert. Sein Ordnungsruf ist von der höchsten Parteiinstanz abgesegnet. Christoph Blocher stellte bereits kurz nach Moskaus Angriff auf die Ukraine fest, dass die Schweiz «die Neutralität brach und damit Kriegspartei ist». Der Unfehlbare rückte die Neutralität sogar ins Zwielicht einer unsittlichen Tat:

«Die Schweiz hat die Neutralität geschändet.»

Und das vor Putins strafenden Augen!

Wir wissen, wie streng und verhängnisvoll der Blick des Kremlherrschers ist. Er kann Tod und Verderben bedeuten: Bomben und Raketen Tag und Nacht und Jahr und Tag. Dagegen hilft nur Gehorsam, am besten vorauseilender.

Putin – Richtmass des Richtigen.

Der Diktator als Pate schweizerischer Neutralitätspolitik, als Pate schweizerischer Aussenpolitik. Kann man Wobmann anders verstehen? Kann man seine Partei anders verstehen?

Zum tieferen Verständnis der SVP, die eine Unterwerfung der eidgenössischen Aussenpolitik unter Moskaus Massstab predigt, sollte man die SVP in den Blick nehmen, die zum Widerstand gegen eine Verständigung mit Brüssel aufruft – in ihren Worten:

«Die Schweiz der EU zum Frass vorwerfen.»

So der SVP-Kampagnen-Slogan gegen ein Abkommen Berns mit Brüssel, das nur in einem «Kolonialvertrag» enden könne, also in einer vollständigen «Knebelung» der seit Jahrhunderten freien Eidgenossenschaft.

Die EU – Richtmass des Falschen.

Am 14. September 1958 lud Frankreichs Regierungschef Charles de Gaulle den ersten deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer in sein Privathaus nach Colombey-les-Deux-Églises ein. In zwei Tagen legten die beiden das Fundament für Europas Friedensgeist: Der General, im Weltkrieg Kopf der «Forces françaises libres», schloss Freundschaft mit dem durch das Naziregime unbelasteten Kanzler – die historischen Erbfeinde Frankreich und Deutschland bescherten dem freien Teil des Kontinents den Frieden, der seitdem herrscht, und damit den Fortschritt, der die europäische Entwicklung seitdem prägt.

Die EU – Richtmass des Bösen? Feind der Schweiz?

Hinter dem «Eisernen Vorhang» verschanzte und verfestigte sich der Kommunismus. Aus dem Osten drohten Atomwaffen dem freien Teil der Welt – ganz besonders der EU, dem erfolgreichen Zusammenwirken selbstbewusster Demokratien und funktionierender Rechtsstaaten, gesichert durch die westliche Verteidigungsgemeinschaft Nato – insbesondere durch die USA.

Die Schweiz mittendrin, wirtschaftlich wohlgebettet, militärisch wohlbehütet – EU-Nation, ohne es zu sein, Nato-Nation, ohne es zu sein.

Nun aber wüten im Osten Europas erneut Willkür und Gewaltherrschaft: Russland unterdrückt jede politische Freiheit, mordet widerspenstige Bürger – und überzieht die Ukraine, eine westlich orientierte freie Nation, seit zwei Jahren mit Krieg.

Russland? Putin!

Nur er zählt, allein ihm gehorcht eine Nation, die noch nie in bürgerlicher Freiheit ihren Alltag leben durfte, noch nie westliche Rechtskultur genossen hat – eine Nation, die Unterdrückung als Schicksal ihrer ganzen Geschichte erlebt.

Dennoch ist der Weltverbrecher Putin überall in Europa zur Bezugsgrösse der äusseren Rechten geworden: eine Heilsfigur, der man zu huldigen hat – von Frankreichs Marine Le Pen bis hin zu den Schweizer Wortführern putinistischer Propaganda.

Russlands Präsident inszeniert sich gerne und lustvoll mit nacktem Oberkörper, auch schon mal in Heldenpose zu Pferd. Sein Vorbild für diese Selbstdarstellung ist der italienische Diktator Mussolini (1883–1945), Begründer des europäischen Faschismus: Auch er liebte es, mit nacktem Oberkörper den Macho-Diktator darzustellen, ob bei der Reisernte in der Po-Ebene, ob auf dem Schlitten im Schnee.

Nicht nur die Bilder gleichen sich. Es gleichen sich die Mentalitäten. Es gleichen sich die Methoden.

In Europa wird zu einem neuen Faschismus getrommelt: gegen die Europäische Union, für einen völkisch definierten Nationalismus – wie einst vor hundert Jahren. Welches Bekenntnis steckt hinter dem SVP-Satz: «In den Augen der Russen sind wir nicht mehr neutral»?

Putin als Mass für Schweizer Politik.

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