Frank A. Meyer – die Kolumne
Neue Töne

Publiziert: 11.12.2022 um 07:55 Uhr
Frank A. Meyer

Sie pflegt hingebungsvoll ihre Schwarznasenschafe. Er engagiert sich im Zuchtverband für Freiberger Pferde.

Die Bundesversammlung hat eine Bundesrätin und einen Bundesrat gewählt: Albert Rösti, den weltläufigen Charmeur aus Kandersteg, wo die Züge durch den Tunnel nach Süden in die weite Welt entschwinden; Elisabeth Baume-Schneider, die freiheitsbeseelte Charmeuse aus Les Breuleux, wo der anarchische Geist über die Juraweiden weht.

Sie bekennt in ihrer Rede zur Annahme der Wahl: «Also, ich bin sicher charmant, aber ich bin auch ehrlich und kann wirklich sehr ernsthaft arbeiten …»

Wo gibt es so was? In der Schweiz.

Beide Bundesräte bieten politische Qualität. Sie als Ständerätin und früheres Regierungsmitglied im Kanton Jura. Er als Nationalrat und früherer Parteipräsident.

Ist damit alles gesagt? Oder birgt die Wahl eine Botschaft?

Albert Rösti formulierte in seiner Rede zur Annahme der Wahl folgende Sätze: «Die Voraussetzung für Demokratie ist die Freiheit des Einzelnen. Denn Freiheit ermöglicht eine freie Diskussion unterschiedlicher Standpunkte vor einem Entscheid. Ohne offene, faire Diskussion ist Demokratie nicht möglich. Dies mag etwas banal klingen, ist aber ein fundamentaler Unterschied unserer Staatsform zu Autokratien und Diktaturen.»

Solch ein Bekenntnis zur fairen, freien Debatte mag ein Freisinniger ablegen. Auch ein Christdemokrat kann so reden. Und ein Sozialdemokrat ohnehin. Aber ein führendes Mitglied der populistischen SVP?

Albert Rösti kann es. Aus seinem Mund klingen diese Worte wie Befreiung. Als kämen sie von Herzen. In der Tat, die Rede des neuen SVP-Bundesrates klang herzlich, fröhlich, unbeschwert. Unbeschwert wovon?

Unbeschwert vom miesepetrigen, bärbeissigen, böswilligen Oberton, der die Rhetorik dieser Partei seit vielen Jahren prägt, sie ungeniessbar macht für Demokraten, selbst wenn manche Inhalte stimmig erscheinen und wirkliche Probleme ins Licht rücken.

Die Tonalität der Populisten-Partei, die den Schweizer Populismus zum Synonym für böse Polemik werden liess, diktiert der Herrscher aus Herrliberg, dem Herabsetzung und Häme für politische Gegner notorisch entfahren.

Böse Blitze, destruktives Donnern gegen eine Kultur der Freude am inhaltlichen Widersacher: Carl-Schmitt-Politik statt freundeidgenössischer Geist.

Der Gegner – ein Feind.

Ja, Christoph Blocher, der pekuniäre und politische Dominator der Schweizerischen Volkspartei, hat demokratisches Selbstverständnis beschädigt – durch die Reduktion alles Politischen auf Macht.

Der gescheiterte Bundesrat äusserte sich einst zu der Frage, was geschähe, wenn er Bundesrat würde: «Der Schweiz ginge es besser (…) Die Leute hätten nach wie vor etwas zu sagen (…) Ich würde eine wirksame Opposition zulassen (…).»

«Die Leute» – «nach wie vor etwas zu sagen» – «eine Opposition zulassen»

Albert Rösti ist frei von autoritärem Macht-Mief. Der Berner befreit die SVP vom Herrliberger – von der Zürcher Verzwergung einer wichtigen Partei. Er befreit die Schweiz mit streitlustiger Freundlichkeit und Fröhlichkeit vom Gift des Gesalbten.

So könnte es doch sein.

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