Frank A. Meyer – die Kolumne
Mensch Bremi

Publiziert: 10.11.2019 um 11:59 Uhr
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Aktualisiert: 18.06.2021 um 16:12 Uhr
Frank A. Meyer

Man darf Ulrich Bremi, der diese Woche 90 wurde, durchaus ein «Urgestein im helvetischen Landschaftsgarten» nennen. Die «Neue Zürcher Zeitung», deren Verwaltungsrat der Jubilar einst präsidierte, hat diese Worte gewählt. Urgestein geht immer, wenn höchstes Alter zu lobpreisen ist – zumal das eines ehedem höchsten Schweizers: Ulrich Bremi war 1990/91 Nationalratspräsident. Also stimmt das Bild.

Stimmts wirklich? Gestein? Wenn er so dasteht, grossmächtig breit, Brust raus, Bauch rein, wirkt der Unternehmer-Politiker oder Politiker-Unternehmer monumental. Man sollte deshalb nicht versuchen, Bremi zu umarmen. Wie kommt man angesichts solch selbstbewusster Stattlichkeit überhaupt auf die Idee, diesen Menschen zu umarmen?

Genau das aber ist Ulrich Bremi: ein Mensch zum Umarmen! Ein hochsensibler, hellwacher, notorisch neugieriger Bürger.

Für solche Qualitäten gibt es einen angemessenen politischen Begriff: Ueli Bremi ist – ein Freisinniger.

Diese Feststellung bedarf der Erläuterung. Der Patron und Politiker und Mensch Bremi verkörpert das, was den modernen Schweizer Bundesstaat ursprünglich ausmachte, was ihn erfüllte: die Begeisterung des Unternehmers für die Politik. Sie ist die kürzeste Formel für Ulrich Bremis öffentliche Persönlichkeit.

Der ehemalige Chef des Sicherheitsunternehmens Bauer, der einstige Präsident des Versicherungsriesen Swiss Re, der wirtschaftsmächtigste Schweizer der Siebziger- und Achtzigerjahre, der Nationalrat von 1975 bis 1991, der freisinnige Fraktionspräsident von 1986 bis 1989 und spätere Na­tionalratspräsident stand für das, was auf höchster gesellschaftlicher Ebene die Ehrenbezeichnung Citoyen beanspruchen darf: den Bürger, der sich den Interessen der Demokratie verpflichtet fühlt, weit über seine privaten Interessen hinaus.

Als Ulrich Bremi in den Nationalrat gewählt wurde, warnten linke Parlamentarier in Bern: «Jetzt kommt die Zürcher Wirtschaftsmacht ins Bundeshaus.» Und so sah er auch aus: wie der Bonze aus dem Bilderbuch. Bis man mit ihm bekannt wurde: mit einem feinfühligen Zuhörer und Frager und Nachfrager, mit einem originellen, stets überraschenden Ergänzer und Einwender und Widersprecher, mit einem Wirtschafts­mogul, der die Politik liebte, der den politischen Institutionen allergrössten Respekt entgegenbrachte.

Um Ulrich Bremi selbst zu zitieren: «Wirtschaftliche Erfahrung ist eine hervorragende Voraussetzung für ein öffentliches Amt, aber keine hinreichende. Es braucht mehr. Wir beklagen uns gelegentlich über mangelhafte politische Führung. Die Exponenten sind nicht immer schwächer. Aber die Anforderungen sind höher.»

Wie wahr! Die Anforderungen der Politik – das heisst der Demokratie – sind höher als die Profile profitgetriebener Manager oder lobbygesteuerter Juristen. Was nicht nur, aber insbesondere die freisinnige Elite der allerjüngsten Vergangenheit meint.

Als Ulrich Bremi den Bundeshaus-Freisinn regierte, war die Fraktion satt besetzt mit Parlamentariern höchster intellektueller und kultureller Kompetenz, von Richard Reich über Gilles Petitpierre bis zu Sergio Salvioni. Ihre Zahl ist zu gross, um ihnen
allen die Ehre der namentlichen Nennung widerfahren zu lassen. Doch so war das damals in der FDP unter der Parlamentskuppel.

Ulrich Bremi amtete als Pater familias im besten Sinne. Am Debattentisch kamen alle zu Wort, und zwar so ausgiebig, dass einer der denkstarken Nonkonformisten schwärmte: «Bremi will immer hören, was wir Abweichler zu sagen haben.» Der quittierte das Kompliment mit einem prägnanten Bild: «Das sind meine Grenzbefestigungen.»

Ulrich Bremi mochte es überhaupt nicht, gelangweilt zu werden. Andersdenkende langweilten ihn nicht. Mit ihnen stritt er. Und zwar durchaus unsanft, oft bellend heftig. Der Ruhige aus Zürich verfügt über südländisches Temperament, konnte explodieren, kann es wohl heute noch. Die Bremis stammen aus Italien. Politik ist dort Leidenschaft.

Ulrich Bremi liebte die Inszenierung der Politik, die ja für die Zuschauer da ist – für Bürgerinnen und Bürger. So liess er als Nationalratspräsident zur 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft Friedrich Dürrenmatts Stück «Herkules und der Stall des Augias» im
Parlamentssaal aufführen, von einem ganz jungen Regisseur inszeniert.

Das muss man sich einmal vorstellen: Dürrenmatt auf der höchsten politischen Bühne, mit einer Komödie, die sich nur schweizerisch selbstkritisch verstehen lässt, das ganze Theater initiiert durch den Inbegriff von Freisinn: Ulrich Bremi!

Ja, das waren noch Zeiten, als der mäch­tigste Wirtschaftsführer im Dienst des politischen Denkens Demokratie beflügelte.

Ulrich Bremi, ein Mann fürs Ganze.

Für unser Ganzes.

Entweder Volk oder Partei
7:31
«frank & frei»:Entweder Volk oder Partei
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