Frank A. Meyer – die Kolumne
Leichtfertiges Spiel

Publiziert: 19.09.2020 um 23:50 Uhr
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Aktualisiert: 20.09.2020 um 07:56 Uhr
Fran A. Meyer

So findet nun also doch kein «Konkordanzgipfel» der grössten Schweizer ­Parteien statt: Thema der vier Bundesratsparteien plus Grünen und Grünliberalen wäre die künftige Verteilung der Bundesratssitze gewesen. Bislang, seit 1959, regieren FDP, SPS, CVP und SVP das Land gemeinsam, über alle parteilichen Konflikte hinweg.

Mit ihrem Verzicht auf das Gipfelgespräch reagieren die Grossparteien auf den Entscheid der SVP, einen ihr ­angehörigen Bundesrichter nicht mehr zur Wahl vor­zuschlagen, weil er in mehreren Urteilen gegen die ­Linie der Volkspartei ver­stossen habe.

Richter als Büttel ihrer Partei – das verstehen die Rechts­populisten unter der ver­fassungsmässig verankerten Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt.

Damit begeht die SVP eine Grenzver­letzung ganz grundsätzlicher Art: Sie verletzt das System der Ge­waltenteilung, wonach die Judikative ihre Pflicht un­abhängig von Legislative und Exekutive zu erfüllen hat, also unabhängig von ­jedweder Programmatik der politischen Parteien.

Die Populisten-Partei ist berüchtigt für gezielte Grenzverletzungen: wenn sie beispielsweise Abstimmungspropaganda mit Nazi-Motiven betreibt, wenn sie den Bundesrat des Landesverrats bezichtigt.

Diesmal aber missachtet die SVP die ­Gewaltenteilung in der Demokratie. Und damit die Demokratie in ihren Grund­lagen.

Es reicht.

Dass die demokratischen Parteien des Landes dies nun auch so sehen und mit einer solchen Bewegung nicht zum ­«Konkordanzgipfel» zusammenkommen wollen, ist wohltuend konsequent. Offenbar spürt man, dass es um die Sub­stanz des politischen Systems geht. Offenbar erkennt man auch, dass sich die Frage stellt, wie lange und wie weit die äussere Rechte ihr Spiel mit der demo­kra­tischen Kultur noch als Partei treiben darf, die sich mit zwei Bundesräten schmückt.

Christian Levrat, Präsident der SPS, spitzt die Antwort auf diese Frage allerdings provokativ zu: Seine Sozialde­mokraten sollen nächste Woche keine Bundesrichter wählen, die von der SVP vorgeschlagen wurden, denn anders als jener Bundesrichter, den die SVP wegen Ungehorsams nicht mehr will, hingen ja doch «die restlichen elf Richterinnen und Richter der SVP am Gängelband der Partei».

Ist das eine kluge Reaktion auf die Re­aktionäre? Im Gegenteil: Levrat, ein gescheiter Kopf und geschickter Taktiker, verrennt sich gerade – in eine ganz ähn­liche Richtung wie die SVP mit der Nichtwahl ihres ­unbotmässigen Bundes­richters.

Der SPS-Präsident strebt seinerseits eine Politisierung der Richterwahl an, also eine Instrumentali­sierung der richterlichen Gewalt durch die Politik. Er begründet dies paradoxerweise damit, die Unabhängigkeit der Rechtsprechung von jedweder Partei-Ideo­logie durchsetzen zu wollen.

Ein absurdes Spiel.

Levrats Spiel geht auch nicht auf, denn es untergräbt die Bundesverfassung, die Bundesrichter aufgrund von Parteivorschlägen vorsieht und ihnen zugleich parteiun­abhän­giges Richten ab­verlangt. Der Geist der unterschied­lichen politischen Strömungen im Volk – wozu eben auch die der SVP zählt – soll die Rechtskultur des Bundes­gerichts grundieren.

Was unterscheidet die Nichtwahl der SVP-Richter durch die SPS von der ­Nichtwahl eines SVP-Richters durch die SVP selbst?

Eben!

Christian Levrat ist zu intelligent, um nicht zu sehen, wie sehr er sich gerade verhaspelt. Ein Satz verrät sein Un­­­ be­hagen: «Wenn ich mir die Hände schmutzig machen muss, dann ist es nun einmal so.» Das klingt pathetisch nach Opfergang. Deshalb wäre dem grossen Präsidenten der schweizerischen Sozial­de­mokratie, der sein Amt demnächst in Juso-Kinder­hände legen wird, fürsorglich zuzurufen:

Nichts ist nun einmal so!

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