Frank A. Meyer – die Kolumne
Gewinn und Verlust

Publiziert: 20.02.2022 um 01:10 Uhr
Frank A. Meyer

Gross ist das Weh, gross ist das Ach. Der «Tages-Anzeiger» goss den Schmerz in die Schlagzeile: «Die Wirtschaft verliert das Volk.»

Fürwahr, der Abstimmungssonntag war ein trister Tag: Tabakwerbung verboten, Stempelsteuer beibehalten, Medienunterstützung abgelehnt. Auch steckt die Annahme der Konzernverantwortungs-Initiative durch das Volk den Unternehmern noch in den Knochen.

Ist dem Volk das Wohl der Wirtschaft einerlei? Oder, wie die erzliberale «Neue Zürcher Zeitung» («NZZ») mit beleidigtem Unterton fragt: «Gehört die pragmatische Wirtschaftsfreundlichkeit von 50 plus x Prozent der Schweizer Stimmbürger der Vergangenheit an?»

Ist dem Volk womöglich gar das eigene Wohlergehen einerlei? Wie ebenfalls die «NZZ» mürrisch warnt, untergräbt doch «allzu selbstzufriedenes Bewahren (…) den künftigen Wohlstand».

Ist das Volk der Wirtschaft entfremdet?

Wer ist das überhaupt, die Wirtschaft? Economiesuisse etwa, der Dachverband, der jahrelang völlig unpolitisch verwaltet wurde? Wenn der Bürger Vereine und Vereinchen orten möchte, die Interessen der Wirtschaft vertreten, muss er googeln.

Wohin erst sind die grossen Figuren der schweizerischen Wirtschaftswelt entschwunden?

Sie sitzen in ihren klimatisierten Chefetagen. Sie fliegen durch die Welt. Sie kennen Shanghai und Singapur und New York, wogegen ja gar nichts einzuwenden wäre, hätten sie eine Ahnung von Bern – von der Schweizer Politik.

Die Schweiz ist einer der erfolgreichsten – der wettbewerbsfähigsten – Staaten der Welt. Eine durch und durch globalisierte Nation. Dennoch und gerade deshalb lassen sich die politischen Interessen ihrer Wirtschaft nicht an PR- und Marketing-Agenturen outsourcen.

Globalesisch ist eine Sprache für Videokonferenzen. Fürs Bundeshaus taugt sie nicht.

Was ist denn das Bundeshaus? Und was, bitte, sollen globalisierte Wirtschaftsführer dort? Die Frage ist schon beantwortet. Und das Problem der Wirtschaft: Patrons im Parlament gehören der Vergangenheit an.

Einst nämlich bestimmten Politiker mit höchsten Posten in Unternehmenshierarchien das Geschehen der Schweizer Politik machtvoll mit. Im Ratssaal vertraten sie das wirtschaftliche Augenmass; die Wirtschaft lehrten sie politische Vernunft.

Als Beispiele seien nur einige Namen genannt: im Parla-ment Hans Rüegg, Peter Spälti, Richard Reich, Ulrich Bremi, im Bundesrat Nello Celio und Fritz Honegger. Sie wurzelten fest in der Wirtschaft – undschlugen Wurzeln in der Politik.

Ulrich Bremi, damals der «Bismarck der Schweizer Wirtschaft», wie die Geburtstagsrede zu seinem Siebzigsten anmerkte, kleidete seine in Bern gewonnenen Erkenntnisse in folgende Feststellung: «Wirtschaftliche Erfahrung ist eine hervorragende Voraussetzung für ein öffentliches Amt, aber keine hinreichende. Es braucht mehr. Wir beklagen uns gelegentlich über mangelhafte politische Führung. Die Exponenten sind nicht immer schwächer. Aber die Anforderungen sind höher.»

In der Tat, die Anforderungen der Politik überfordern profitfixierte Manager. Politik ist das Handwerk der Demokratie. Derzeit allerdings wird es von den Wirtschaftsmächtigen verachtet – was sollen Geniesser von Millionengehältern denn auch viermal pro Jahr drei Wochen im Ratssaal des Bundeshauses und am Abend in Beizen unter den Arkaden der Bundesstadt? Verlorene Zeit!

Womöglich verhält es sich wie im Gleichnis vom Fuchs und den Trauben: Die Trauben sind ihm zu sauer – weil sie zu hoch hängen.

Doch die Wirtschaft muss mit potenten Persönlichkeiten zurück in den politischen Betrieb: um sich den Bürgern verständlich zu machen. Die Politik wird ihnen das Globalesisch austreiben und die bürgerliche Sprache beibringen.

Zurück in Parlament und Bundesrat bedeutet zurück zur Bürgerschaft.

Nicht die Wirtschaft hat das Volk verloren. Das Volk hat die Wirtschaft verloren.

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