Frank A. Meyer – die Kolumne
Genossinnen im Irrgarten

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Publiziert: 14.02.2021 um 01:15 Uhr
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Aktualisiert: 20.02.2021 um 17:55 Uhr
Frank A. Meyer

Eine junge Iranerin, die in Deutschland lebt und einen neuen Pass braucht, muss zwecks Feststellung ­ihrer Identität aufs Konsulat. Wenig später erhält sie einen Anruf, die abgegebenen Dokumente entsprächen nicht dem Wunsch der islamischen Regierung: Die Kopfbedeckung auf dem Passbild sei nicht ausreichend. Sie müsse ein neues Foto einschicken, auf dem weder Haare noch Hals zu sehen sind.

Identität ist nach dem Willen der Mullahs das, was die Religion vorschreibt – nicht, was die Frau selbst dafür hält.

So viel zur aktuellen Wirklichkeit ­islamischer Kleidervorschriften. Und ­damit zur aktuellen Debatte um ein Burkaverbot in der Schweiz.

Die sozialdemokratische National­rätin Tamara Funiciello, leidenschaftliche Gegnerin des Verhüllungsverbots, sieht die Situation der Musliminnen so: «Was eine Frau trägt oder nicht, entscheidet ausschliesslich und ohne Rechtfertigung eine einzige Person: die Frau selber.»

Die Iranerin Shaparak Shajarizadeh musste aus ihrer Heimat nach Ka­nada fliehen, weil sie den Kopftuchzwang missachtet hatte. Heute sagt sie: «Der Westen lässt die iranischen Frauen im Stich.»

Kopftuchzwang? Burkazwang? Nach Auffassung der Linken, die sich hinter Frau Funiciello versammelt haben, sind das offenbar Fake News.

In islamischen Diktaturen werden Frauen, die sich gegen die religiösen Kleidervorschriften zur Wehr setzen, eingesperrt und gefoltert, zur Abschreckung gern auch öffentlich ­ausgepeitscht. Selber schuld: Warum tun sie auch nicht freiwillig, was die Glaubenswächter befehlen!

Es ist die Grundidee der linken ­Ar­gumentation: Burkaträgerinnen, die auf Schweizer Strassen mit re­ligiös verordneter Distanz ihrem lässig ­gewandeten Gatten hinterher­huschen, tun dies freiwillig – aus ­innigstem Glauben an die Richtigkeit islamischer Regeln.

Der Begriff Islam bedeutet: sich ergeben, sich hingeben, auch «sich unterwerfen». Für Frauen hat das ganz praktische Folgen. Der Mann ist ­Vormund – und Kopftuch, Nikab, Hidschab, Tschador oder Burka sind die alltägliche, ganz konkrete, körperlich sicht- und spürbare Realität ihrer Unterwerfung.

Ja, Religion hats in sich. Sogar linke Feministinnen meinen das stets zu wissen, solange es nur um die Glaubenslehre der katholischen Kirche geht, etwa im Falle der Abtreibung. Empört ist da – völlig zu Recht – von Glaubenszwang die Rede. Doch so funktioniert der Unterdrückungstrick religiöser Dogmatik nun mal rund um den Erdball: Die korrekte Unterwerfung wird freiwillig voll­zogen.

Erzwungene Freiwilligkeit.

Feministinnen, die das Burkaverbot mit der Freiwilligkeitsparole bekämpfen, wissen das selbstverständlich auch. Oder sollte die Gender-Verblödung schon so weit fort­geschritten sein?
Wenn sie es aber wissen, weil sie ihre linke Kraft zur rationalen Analyse noch nicht verloren haben, dann lügen sie sich etwas vor. In der Politik jedoch wird aus dem Sich-selbst-­Belügen leicht das Belügen anderer – der Bürgerinnen und Bürger. Im vorliegenden Fall weckt dies bei ­ehrlichen Politikerinnen das schlechte Gewissen: Die Wählerinnen und Wähler sollen sie ja unbedingt als Vorkämpferinnen der Frauenbefreiung wahrnehmen.

So wird die Burka zum abstrakten Sinnbild der allgemein grassierenden Frauenunterdrückung verniedlicht. Ein Text der SP-Frauen: «Sexismus gibt es in unterschiedlichen ­Facetten und Stärken seit Jahrhunderten auf der ganzen Welt. Weder eine Kultur noch eine Religion, sondern das ­Patriarchat ist das Problem.»

Folgerichtig muss man das Patriarchat verbieten. Und nicht, beispielsweise, das katholisch inspirierte ­Abtreibungsverbot in Polen bekämpfen. Oder etwa doch, weil der Kampf gegen christliche Frauenunter­drückung von der linken Meinungskongregation ja zugelassen ist?

Ogottogott, wer findet da noch raus, aus diesem links-feministischen Irrgarten?

Zur allgemeinen Wirrnis gesellt sich die These, Verschleierung, ob ganz oder Kopftuch, sei lediglich ein Symbol des Glaubens.

Etwa wie das Kreuz?

Die kleine Frage genügt, das Ar­gument zu erledigen. Die Kleidervorschriften des konservativen ­Islam sind praktizierte Unterdrückung. Sie verhüllen Haare, Hals und Körper, um die Körperlichkeit der Frau zu eliminieren. Die Burka bringt sie als physisch präsente Persönlichkeit zum Verschwinden – ein Kerker für den Körper.

Vielleicht sollten die Streiterinnen für die Freiwilligkeit des Burka­tragens dieses Kleidungsstück mal einen Tag lang überziehen, wenigstens ein Kopftuch, das Genoss*innen sogar für Schulmädchen als unbedenk­liches Modeaccessoire erachten: Jede Bewegung wird eingeschränkt, was ­ja der Sinn dieser verhüllenden Texti­lien ist – praktizierte Unterdrückung. Von früh bis spät wird die Frau durch Behinderung daran erinnert, dass sie eine Frau ist.

Nur eine Frau.

Alles freiwillig? Dürfen Burka­trä­gerinnen den erniedrigenden Fetzen einfach ausziehen? Davon gehen nicht einmal die linkesten Linken aus: Unverhüllt wären diese Frauen, so wird schwadroniert, ins Haus ­verbannt. Die perverse Logik dieser Argumentation: Die Burkaverbieter werden – anstelle der ehelichen ­Gebieter – ihrerseits als Frauen­unterdrücker diffamiert.

Verkehrte, verdrehte, verwirrte ­linke Welt!

Gern führen linke Frauen für so ­vieles, was ihnen nicht passt, das Wort Rassismus im Mund. Hier trifft der böse Begriff zu: Die islamischen Kleiderzwänge sind Rassismus gegen Frauen, hundertmillionenfach betrieben in der islamischen Glaubenswelt – erlaubt auch bei uns.

Schliesslich wird immer wieder die SVP ins Feld geführt, der erbärmlichste linke Vorwand, um gegen das Burkaverbot zu polemisieren. Tamara Funiciello: «Dass die SVP nun versucht, sich zur Retterin der Frauen aufzuspielen, ist gelinde gesagt ein Hohn.»

Was wäre, würde die SVP demnächst für die Frauenquote fechten, oder mehr Lohngerechtigkeit für weibliche Arbeitnehmer fordern? Wäre auch das «gelinde gesagt ein Hohn»?

Im Burka-Abstimmungskampf geht es tatsächlich um Hohn: um die ­Verhöhnung all der mutigen Frauen, die gegen den frauenfeindlichen Dogmatismus des Islam kämpfen – oft unter Einsatz ihres Lebens.

Der linke Luxus-Feminismus kämpft derweil für Gendersternchen.

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