Frank A. Meyer – die Kolumne
Eins zu eins zu eins

Publiziert: 18.06.2023 um 00:43 Uhr
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Aktualisiert: 18.06.2023 um 03:47 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist

Parlamentarier fordern nun also eine Gebühr für den Gotthardtunnel. Einer ihrer Wortführer ist der Urner Simon Stadler, der getrost als historischer Experte in dieser Angelegenheit betrachtet werden darf, hat Uri die Leventina doch schon in der Alten Eidgenossenschaft gepiesackt.

Wer durch den Gotthard fährt, soll zahlen. Wie am Brenner oder am Montblanc. Schweiz und gratis – Gegensätze geradezu grundsätzlicher Art.

Was also ist das Problem? Das Tessin!

Foto: Antje Berghaeuser

Der freisinnige Nationalrat Alex Farinelli stellt fest: «Wir Tessiner müssten eine Eintrittsgebühr für die übrige Schweiz zahlen.» Also lautet die Parole gegen eine Gotthard-Tunnelgebühr: «Das Tessin darf nicht diskriminiert werden.»

Dieser gut gemeinte Satz ist der falsche Satz.

Das Tessin ist zwar der Kanton der italienischsprachigen Kultur – Helvetiens «Sonnenstube», wie man den Süden des Landes leutselig zu preisen pflegt. Doch der liebliche Landesteil ist mehr als eine Destination für Feiertage und Ferien, viel mehr:

Das Tessin ist die Schweiz!

Am 12. September vor 175 Jahren wurde der Bundesstaat geschaffen, wie wir ihn heute leben: als mehrsprachige Nation, deren Sprachkulturen nicht nur gleichberechtigt sind, sondern auch gleichgewichtig:

Die deutschsprachige Schweiz ist die Schweiz, die französischsprachige Schweiz ist die Schweiz, die italienischsprachige Schweiz ist die Schweiz.
Eins zu eins zu eins.

Was wäre die Schweiz ohne die anderen Schweizen? Sie wäre nicht! Die Nation von 1848 ist undenkbar ohne ihre Sprachkulturen.

Die Tunnelgebühr am Gotthard wäre deshalb staatspolitisch nicht eine «Eintrittsgebühr ins Tessin», sondern ein Zoll zwischen der Schweiz und der Schweiz – eine Absurdität.

Und ein Geschichtsirrtum, der sich zur Geschichtslegende verdichtet hat: im Fest-Fetisch des 1. August – des Nationalfeiertages, der gar nicht die Schweiz meint, sondern die Alte Eidgenossenschaft. Die ging der modernen Schweiz zwar voraus, fand am 12. September 1848 aber auch ihr Ende.

Der Irrtum des helvetischen Nationalfeiertages hat politische Gründe: Man wollte den katholischen Verlierern nicht das Gründungsdatum des modernen Bundesstaates zumuten – und erfand einen historischen Tag, den es nie gab, mitsamt einer Gründungserzählung, die nichts ist als ein Mythos.

Doch, auch die Alte Eidgenossenschaft bedeutete Freiheit: Freiheit von fremden Mächten – Freiheit gegen aussen.

Die freisinnige Freiheit von 1848 hingegen ist Freiheit des Bürgers: Freiheit vor gesellschaftlichen Mächten – Freiheit im Innern.

Nein, das Tessin ist nicht der putzige, sonnige Süden, den man mit einem Eintrittsbillett am Gotthard paternalistisch diskriminieren würde.

Il Ticino è la Svizzera!

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