Frank A. Meyer – die Kolumne
Eine Huldigung

Publiziert: 26.02.2023 um 00:49 Uhr
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Aktualisiert: 26.02.2023 um 14:59 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist

Aktuell ist er die Symbolfigur für alles Böse: der alte weisse Mann. Erfunden hat ihn der linksgrüne Zeitgeist, in Umlauf halten ihn dogmatische Dozenten, doktrinäre Tweeter und die Selbstkleber der letzten Generation. Der alte weisse Mann ist in ihren Augen verantwortlich für Kapitalismus, Kolonialismus, Konsumismus sowie sämtliche Kümmernisse dieser Tage, Monate, Jahre, die unweigerlich in die Klimakatastrophe führen werden, wenn nicht der Atomkrieg dem ganzen Elend ein vorzeitiges Ende setzt.

Jetzt hat dieser Leibhaftige der Jetzt-Zeit leibhaftig eine Reise unternommen: von Washington nach Kiew und anschliessend nach Warschau. Dabei stolperte er, symbolhaft auch dies, beim Besteigen seiner Präsidentenmaschine auf der Gangway.

Der alte weisse Mann, wie er leibt und lebt, wie er zu sein hat, will er der ihm zugedachten Rolle im Welttheater gerecht werden: so tattrig wie machtversessen.

Wie gelangte Joe Biden nach Kiew? Kollegen der «Süddeutschen Zeitung» haben den Ablauf der historischen Reise minutiös recherchiert: Nach dem Abendessen mit seiner Frau Jill in einem Restaurant, das für besonders schmackhafte Rigatoni bekannt ist, ging der US-Präsident nicht schlafen, sondern flog um 4.15 Uhr nach Przemysl in Ostpolen, von wo er neun Stunden mit der Eisenbahn durch die Westukraine nach Kiew ratterte.

In der Hauptstadt des kriegsversehrten Landes empfingen ihn Wolodimir Selenski und dessen Frau Olena mit dem Satz: «Danke, dass Sie gekommen sind.» Worauf Joe Biden antwortete: «Viel wichtiger – wie geht es Ihren Kindern?»

Ja, und dann gingen die beiden Präsidenten unter dem Kreischen von Luftalarmsirenen durch Kiew. Ihr Spaziergang wurde zur weltpolitischen Machtdemonstration: Die Ukraine ist die Ukraine – und nicht eine abtrünnige Provinz Russlands; zwar Schauplatz von Putins kriminellem Krieg, aber auch als solcher Teil der freien Welt, über die Amerika wacht.

Mit den Bildern seines spektakulären Besuchs beschwor und beflügelte der alte weisse Mann Joe Biden das Bekenntnis des Westens, dass seine Werte nicht zur Disposition stehen, dass Demokratie und Rechtsstaat nicht verhandelbar sind.

Kein anderes Ereignis in diesen von Links- und Rechtsaussen – was ist der Unterschied? – so erbärmlich geistlos gehaltenen Zeitgeistjahren machte Grösse und Bedeutung der westlichen Symbolfigur deutlicher:

Der alte weisse Mann ist ein Segen für die Welt.

Und Joe Biden, Prototyp dieser verachteten Spezies, verkörpert den Schutz der Freiheit, in deren Reich die Verleumder ebendieser Freiheit mit ihren Verschwörungstheorien vom bösen Wirken des Westens in unserer eigentlich doch guten Welt davon träumen dürfen, sie wären den Westen endlich los – und es gäbe nur noch den globalen Süden.

Was aber wäre der «globale Süden» – dieser neuerdings täglich in den Medien beschworene Mythos einer besseren Welt – ohne den alten weissen Mann mit seiner Wissenschaft und Wirtschaft, ohne seine Erfolge und Fortschritte und Fehler, ohne seine ständige Selbstkritik und Selbstkorrektur?

Welche Arzneien – ja, welche Antibiotika, welche Impfungen – würden kranken Kindern im globalen Süden verabreicht?

Die Menschen dort kennen die Antwort. Sie sind es auch nicht, die gegen den «globalen Norden» polemisieren und mobilisieren. Es sind die verwöhnten Sprösslinge der Überflussgesellschaft, denen die Leistungen von Vätern und Vorvätern ein Dorn im Auge sind – wo finden sich ihre eigenen Leistungen?

Doch all ihr Schimpfen und Schmähen gehört ebenfalls zur Freiheit. Denn die Freiheit muss gelebt werden. Immer wieder neu. Intelligent und dumm. Konstruktiv und destruktiv.

Solange der alte weisse Mann sie beschützt.

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