Frank A. Meyer – die Kolumne
Das Schweigen

Publiziert: 08.11.2020 um 09:08 Uhr
Frank A. Meyer

Die «SP Frauen* Schweiz» kämpfen europaweit für Frauenrechte. In einem Communiqué vom Dienstag be­kunden sie ihre Solidarität mit den Polinnen, die gegen ein Urteil ihres Verfassungs­gerichts streiken. Die obersten Richter erweiterten das Verbot von Schwangerschafts­abbrüchen – eine Entscheidung der schlimmsten Art: ­Abtreibungen sind nun sogar dann untersagt, wenn eine schwerwiegende Missbildung, eine unheilbare oder lebens­gefährliche Krankheit den Fötus bedroht.

Da kommt den Schweizer Genossinnen die Galle hoch. Zu Recht.

Das polnische Urteil gegen die Selbstbestimmung der Frauen erging ganz im Sinn der katholischen Kirche, die mit dem Begriff «konservativ» allzu gnädig umschrieben wäre. Ihr extremer Konservatismus ­beeinflusst, ja beherrscht die Partei «Recht und Gerechtigkeit», deren allmächtiger Präsident Jaroslaw Kaczynski mit Fug als klerikal-faschistoider ­Politiker bezeichnet werden darf.

Polens Kirche macht Polens Politik.

Dagegen erheben die sozialdemokra­tischen Frauen der Schweiz ihre Stimme – für die Frauen in Polen.

Man könnte meinen, der Solidaritäts-Aufruf der Genossinnen entspringe dem ältesten aufklärerischen Reflex: gegen die Macht der Kirche, gegen die Macht der Religion, gegen jegliche religiös-­politische Anmassung. Auch könnte man meinen, dieser aufklärerische Impetus zähle immer noch zum Arsenal der demokratischen Linken. Ferner könnte man meinen, dass dieser Kampf keine Ausnahmen kennt, dass er militant geführt werden muss – gegen jedwede ­Religion.

Ist das so?

Ist das auch dann so, wenn es um eine Religion geht, die Frauen syste­matisch unterdrückt, sie unters Kopftuch zwingt, ihnen den Mann als Vormund überordnet, ihm die Erziehung der Frau einräumt – samt Züchtigungsrecht?

Nein, so ist es nicht: Wenn es um den ­Islam geht, bekunden die sonst so lautstarken linken Frauen fast schon sym­pathiegetragene Zurückhaltung – vom gelegentlichen Stirnrunzeln übers Schweigen bis hin zum Schönreden. Was die «SP Frauen* Schweiz» für ihre Schwestern in Polen tun, das verweigern sie ihren Schwestern unter dem Schwert Allahs. Täten die Genossinnen, was zu tun ihnen ihre linke Geschichte aufträgt, müssten sie laut und militant auf die Strassen strömen, und zwar immer ­wieder – gerade jetzt.

Am 29. Oktober wurden in der Basilika Notre-Dame von Nizza drei Menschen von einem islamischen Terroristen ermordet. Der Mörder rief «Allahu akbar» (Gott ist gross) und enthauptete eine Frau, die ins Gebet versunken war. Am 21. Oktober ermordete ein Islamist in Dresden zwei Homosexuelle. Am 16. Oktober köpfte ein Gläubiger Allahs in ­Paris den Geschichtslehrer Samuel Paty, der sich erdreistet hatte, seinen Schülern am Beispiel von Mohammed-Karikaturen die Freiheit der Meinung im laizistischen Frankreich zu erklären. Gerade erst am Montag, einen Tag vor dem Communiqué der «SP Frauen* Schweiz», tötete ein Anhänger des Islamischen Staats in Wien vier Menschen und verletzte über 20 weitere Opfer schwer.

Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli, Sozialde­mokratin und Muslimin, empörte sich: «Phrasen wie ‹Das hat nichts mit uns zu tun› müssen endlich aufhören. ­Islamisten morden im Namen des Islam.»

Was der internationale Terror mit dem polnischen Abtreibungsgesetz zu tun hat? In beiden Fällen geht es um ­Re­ligion. Einmal fürchterlich. Das andere Mal schlimm. Beide Vorgänge wurzeln im gleichen Sumpf – in der Religion.

Und so wäre es für linke ­Frauen eine Pflicht, zum ­Protest aufzurufen: zur Solidarität, zur offenen Bekundung von ­Entsetzen über die Enthauptung einer betenden Frau, über die Ermordung zweier Homosexueller, über die Toten von Wien – zum Widerstand gegen eine Religion der Frauenverachtung, die letztlich nichts weiter ist als eine Ideologie der Menschenverachtung, der ­Verachtung des Lebens selbst.

Eigentlich müsste die linke Bewegung – müssten insbesondere die linken Frauen – höchst engagiert sein im Kampf gegen den religiösen Totalitarismus. Eigentlich.

Aber nein. Engagiert sind die «SP Frauen* Schweiz» gerne und eifrig dann, wenn es gegen die katholische Kirche geht.

Gendersternchen statt Feminismus.

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