Fix zur Gesellschaft
«So ist die Natur», sage ich in letzter Zeit öfter

Normalerweise beobachtet unsere Autorin Menschen. Aber was ist derzeit schon normal. Sie sieht jetzt viel mehr Tiere und schaut ihnen beim Katz-und-Maus-Spiel zu.
Publiziert: 02.05.2020 um 12:42 Uhr
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Aktualisiert: 08.05.2020 um 17:06 Uhr
Alexandra Fitz

Als ich das erste Mal von meinen Türkentauben erzählte (ja, jetzt sind es schon meine), schrieb mir eine Frau, dass meine Kolumne sie zu Tränen rührte. Ein Freund sorgte sich: Ob ich jetzt irr werde, weil ich plötzlich über Vögel schreibe. Das mit dem irr kann ich nicht ganz abstreiten, aber das liegt am Homeoffice (ich habe das Wort nur für Sie geschrieben, ich will davon nix mehr hören). Seit ich nicht mehr so einfach Menschen beobachten kann, müssen nun eben Tiere herhalten. Und ich sag Ihnen, die sind nicht minder faszinierend (nein, eher faszinierender!).

Ich schrieb Ihnen ja auch schon vom Bienenschwarm mitten in der Stadt. Es isch eifach so: Seit ich mehr zu Hause bin (also eigentlich nur), habe ich mehr Zeit und mehr Musse für die kleinen Dinge im Leben (wobei es eigentlich die grossen Dinge sind). Ich bin mir sicher, das geht Ihnen ähnlich. Wann schaue ich sonst mitten am Tag aus dem Fenster und beobachte Bäume? Wann gehe ich sonst mitten am Tag spazieren und beobachte Tiere?

Ich lief also letztens durch eine kleine Quartierstrasse, in der ich zuvor noch nie war. Da sass ein roter Kater (keine Ahnung, ob es ein Kater war, aber es klingt einfach schöner) vor einer Steinmauer. Mit seiner (wir gehen ja davon aus, dass es ein Kater ist) rechten Pfote schlug er immer wieder Richtung Mauer. Da sah ich plötzlich eine kleine Schlange. Ich weiss nicht, wann ich das letzte Mal eine Schlange sah (aso z Züri sowieso no nia!). Sie versuchte, sich in ein Loch in der Steinmauer zu zwängen. Aber es war wohl zu eng. Denn ihr Schwanz (aso der der Schlange, oder war es eine Blindschleiche?) stand heraussen (oder, besser gesagt, schlängelte heraussen rum). Mit seiner Pfote griff der Rote immer wieder nach dem Reptil. Irgendwann gab die Schlange auf und war in der Wiese. Der Kater spielte mit ihr. Ich schaute dem Elend zu und sagte laut: «So isch d Natur.»

Alexandra Fitz, stv. Leiterin des SonntagsBlick Magazin.
Foto: Thomas Meier

Ein paar Tage später beobachtete ich einen anderen roten Kater (keine Ahnung, ob es ein Kater war, aber es klingt einfach schöner). Vor ihm hüpfte eine kleine, graue Maus über eine Blumenwiese. Sichtlich angeschlagen war sie irgendwann langsamer (aso die Maus, nicht der Kater). Schnell merkte ich, dass ich mein mir selbst auferlegtes Mantra «So isch d Natur» nicht mehr so gut aushalten konnte (das liegt an dem Unterschied, den ich zwischen Schuppenkriechtieren und Fellnagern mache). Ich fauchte: «So, jetzt isch denn fertig.» Der Rote ignorierte mich. Ich feuerte jetzt die Maus an, rief: «Nein, nicht raus aus dem Busch, bleib drin!» Aber die kleine Graue tappste schon wieder über die Wiese und der grosse Rote hinterher. Ich konnte das nicht mehr mit ansehen. Zu viel.

Ja vielleicht ist das ein bisschen irr und nicht normal. Aber was und wer ist in diesen Zeiten schon normal?

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