Eine Frage des Klimas
So wurde die Schweiz schneefrei

Sonia Seneviratne (48) ist ETH-Professorin für Land-Klima-Dynamik – und gilt als eine der einflussreichsten Schweizer Wissenschaftlerinnen. Heute geht sie der Frage nach, wie es zu diesem warmen Winter kommen konnte.
Publiziert: 07.01.2023 um 17:42 Uhr
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Aktualisiert: 09.01.2023 um 17:32 Uhr
Sonia I. Seneviratne

Die Berichte über fehlenden Schnee in den Schweizer Bergen häufen sich. Sogar die britische Presse macht sich darüber Sorgen: «Schneemangel bedroht Alpen mit nassem Winter» titelt die BBC letzte Woche.

Unterhalb von 2000 Metern lag bis jetzt in den Schweizer Bergen kaum Schnee, und wenn dann nur Kunstschnee. Das erschüttert einen Mythos unseres Landes. Eine Schweiz ohne Schnee ist wie der Weihnachtsmann ohne seinen rot-weissen Mantel: Der Zauber verschwindet.

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Irreversibler Wandel

Die Ursachen sind schnell gefunden: Die Temperaturen liegen in diesem Winter deutlich höher als in den letzten Jahrzehnten. Das ist nicht einfach Zufall, sondern entspricht der langfristigen Zunahme der Temperatur in der Schweiz, die seit Jahrzehnten zu beobachten ist. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beträgt sie 2,4 Grad Celsius. Dies ist mehr als das Doppelte der globalen Erwärmung, die jetzt ca. 1,1 Grad beträgt. Die Temperaturen nehmen nämlich besonders auf Landflächen zu, ausserdem erwärmt sich Zentraleuropa besonders stark. Diese Temperaturzunahmen sind hauptsächlich auf die Verbrennung fossiler Energieträger, d.h. Erdöl, Gas und Kohle, zurückzuführen – und verschlimmern sich Jahrzehnt für Jahrzehnt, weil die menschlichen Emissionen weiter zunehmen und sich in der Atmosphäre akkumulieren. Der Klimawandel ist grösstenteils irreversibel: Das emittierte überschüssige CO2 bleibt Hunderte bis Tausende von Jahren in der Atmosphäre. Selbst wenn die Emissionen sofort verschwinden würden, würden die Berge nicht plötzlich wieder weiss. Die jetzigen Verhältnisse werden Hunderte bis Tausende von Jahre bestehen.

Die Temperatur in der Schweiz für die fünfzehn letzten Jahrzehnten. Gezeigt werden Abweichungen vom Durchschnitt 1870–1900 in Grad Celsius.
Foto: MeteoSchweiz

Schlimmer noch: Jahr für Jahr tragen die Bürger dieser Welt durch Benzinautos, Erdöl- und Gasheizungen, Flüge, Kreuzfahrten und Konsum von klimaschädlichen Gütern dazu bei, dass die CO2-Konzentration weiter zunimmt. Und die Schweizerinnen und Schweizer sind alles andere als beispielhaft: Wir gehören global zu den Top-20 beim CO2-Ausstoss pro Kopf. Fazit: Die Schneelage ist dieses Jahr viel besser als das, was uns in Zukunft erwartet.

Das mangelnde weisse Gold hat Konsequenzen für die Wirtschaft und das Image der Schweiz im Ausland. Zermatt musste ein Skirennen im Oktober in letzter Minute wegen Schneemangel absagen. Auch die Weltcup-Rennen in Adelboden an diesem Wochenende waren in Gefahr. Die Skitourismus-Industrie in Europa setzt laut «Time Magazine» 30 Milliarden Dollar um. Wer wird für die Schäden aufkommen, wenn die Touristen in Zukunft lieber in die Rocky Mountains, die Anden oder gar in den Himalaya fahren?

Hoffnungsschimmer in der Politik

Auch wenn einige die Wahrheit leugnen: Die Schweiz ist zutiefst von der Klimakrise betroffen. Und leider steht die internationale Klimapolitik still. Die 2022 Klimakonferenz in Sharm-el-Sheikh brachte keine Fortschritte, und die Schweiz kann diese Entwicklung nicht beeinflussen, solange sie ihre Hausaufgaben nicht erledigt.

Trotzdem gibt es Hoffnungsschimmer in der Schweizer Klimapolitik. Allen voran der Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative, der vom Parlament gutgeheissen wurde. Dass einige Politikerinnen und Politiker ein Referendum dagegen ergreifen wollen, ist sehr enttäuschend, aber man darf erwarten, dass die Schweizer Bevölkerung versteht, was auf dem Spiel steht, falls es tatsächlich zu einer Abstimmung dazu kommt. Letztendlich wurden kürzlich mehrere ehrgeizige kantonale Klimagesetze und -Initiativen in Volksabstimmungen gutgeheissen: Das «Wunder von Glarus», das neue Zürcher Energiegesetz, und die Basel2030-Initiative unter anderen. Hoffen wir, dass 2023 ein Neustart für die Klimapolitik in der Schweiz darstellt, auch für unsere Berge.

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