Editorial zum Verbot des Magazins «Compact» in Deutschland
Beunruhigende Zeichen aus Berlin

In unserem nördlichen Nachbarland herrscht eine «Top-down-Demokratie». Zum Glück tickt die Schweiz anders. Noch.
Publiziert: 21.07.2024 um 08:49 Uhr

Der Name der Zürcher Germaniastrasse zeugt bis heute von der Anziehungskraft der Schweiz für aufmüpfige deutsche Studenten. Mitglieder der Burschenschaft Germania verlegten 1875 das Grab des revolutionären Dichters Georg Büchner oben auf den Zürichberg, wo später ein Villenquartier entstand. Ihr Vorbild war vor dem reaktionären deutschen Adel an die Limmat geflohen, wo das zarte Pflänzchen des Liberalismus ungestörter gedeihen konnte.

Heute, gut 150 Jahre und zwei Weltkriege später, liegen die Verhältnisse anders – Deutschland ist eine Demokratie, deren Bürger nicht mehr aus politischen Gründen auswandern müssen. Eines aber blieb beinahe unverändert: Der Liberalismus ist noch immer überall auf der Welt bedroht. Auch in unserem nördlichen Nachbarland gibt es Vorgänge, die aufhorchen lassen. Jüngstes Beispiel: Der Beschluss der deutschen Bundesregierung von Anfang Woche, das Magazin «Compact» zu verbieten.

Zwar taugt das als rechtsextrem eingestufte Organ nicht zwingend als Sympathieträger. Was die Redaktion ihren Lesern an umstürzlerischem, rassistischem und revisionistischem Trübsinn auftischt, soll hier nicht weiter vertieft werden.

Das Grab des deutschen Dichters Georg Büchner an der Zürcher Germaniastrasse.
Foto: Keystone
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Die Nonchalance aber, mit der die Regierung in Berlin einen publizistischen Titel aus dem Weg räumen will, verblüfft – schliesslich gehört die Meinungsfreiheit zu den höchsten Gütern der Gegenwart. Innenministerin Nancy Faeser präsentierte den «harten Schlag gegen die rechtsextremistische Szene» sogar voller Stolz.

Ein solcher Durchgriff zeugt eher von der institutionellen Schwäche eines Landes, das unliebsamen Positionen in der normalen politischen Debatte nicht mehr standhalten zu können glaubt. In dieses Bild passen auch die Diskussionen über ein Verbot der AfD. Europas grösstes Land scheint noch immer von dem Gedanken geprägt, die Gesinnung der Bürger im Stil einer «Top-down-Demokratie» durch staatlichen Zwang lenken zu können.

Die Schweiz tickt anders. Zum Glück. Schon die deutschen Studenten des 19. Jahrhunderts wussten das zu schätzen.

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