Editorial über den Konflikt zwischen Iran und Israel
Der Westen büsst für vier Jahrzehnte Naivität

Mässigungsaufrufe an kriegerische Diktaturen wie das Mullahregime sind gut gemeint, aber wertlos.
Publiziert: 21.04.2024 um 07:37 Uhr
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Aktualisiert: 21.04.2024 um 11:45 Uhr
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Ein Wort hat dieser Tage Hochkonjunktur: Deeskalation. «Der Westen pocht auf Deeskalation», erfahren wir auf diversen Frontseiten. «Macron plädiert für Deeskalation», heisst es andernorts; für Olaf Scholz ist «Deeskalation das Gebot der Zeit», auch Europas Aussenminister «fordern Deeskalation», ja selbst Moskau wünscht sich angeblich eine «Deeskalation». 

Anlass für den globalen Bitt-Choral ist der Drohnenangriff des iranischen Mullahregimes vor wenigen Tagen gegen Israel und dessen militärische Antwort in der Nacht auf Freitag. Nun wünscht sich die Welt also eine «Deeskalation». Das ist verständlich – niemand wünscht sich schliesslich einen weiteren Krieg.

Worum aber handelt es sich denn bei diesem Zauberwort, das laut Duden eine «stufenweise Verringerung oder Abschwächung eingesetzter [militärischer] Mittel» bedeutet?

Reza Rafi, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Philippe Rossier

Chamberlain und Hitler: das historische Ur-Beispiel

Der Begriff steht für die Sehnsucht, totalitäre Ungetüme mit Appellen, Aufrufen und Mahnungen, mit Milde und Verständnis zu bändigen. Historisches Ur-Beispiel ist die Naivität des britischen Premiers Neville Chamberlain im Umgang mit Adolf Hitler. So ehrenvoll die Absicht ist, die Gewaltspirale zu durchbrechen, so fatal wirkt die Politik der ausgestreckten Hand gegenüber Diktaturen auch heute, wie der Fall Iran zeigt. Auf dem Höhepunkt der Freiheitsbewegung stemmte sich der sozialdemokratische EU-Aussenminister Josep Borrell mit juristischen Wortklaubereien gegen die Einstufung der iranischen Revolutionsgarde als Terrororganisation – zur Freude des obersten Führers und seiner Schergen. Wozu deren neues Selbstvertrauen geführt hat, wissen wir. Auch der Appeasement-Kurs rechtspopulistischer Antiamerikaner oder linker Kulturversteherinnen hilft unfreiwillig der autoritären Achse von Teheran über Moskau bis Peking. Das wissen die Ayatollahs seit über vier Jahrzehnten für sich zu nutzen, ebenso wie Kreml-Chef Putin.

Letztlich sind all die wohlfeilen Mässigungsaufrufe nichts wert – denn die fortgesetzte Eskalation gehört zur machterhaltenden Logik solcher Regimes. Der Westen sollte einen entschiedenen Kurs gegenüber Unrechtsstaaten fahren, statt um Deeskalation zu flehen.

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