Drama ums Rahmenabkommen - das meint SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Diese Suppe hat sich der Bundesrat selber eingebrockt

Der Bundesrat hat der Öffentlichkeit jahrelang vorgegaukelt, Europa-Politik sei eine Art Gratis­menü à la carte. Das rächt sich jetzt. Das Rahmenabkommen mit der EU trifft das heimische Publikum wie ein Schlag in die Magengrube.
Publiziert: 09.12.2018 um 00:44 Uhr
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Aktualisiert: 10.12.2018 um 09:09 Uhr
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Gieri CaveltyKolumnist SonntagsBlick

Besucht ein Mann ein Restaurant. Er bestellt Suppe, er bestellt Salat. Er bestellt den Hauptgang und er bestellt das Dessert, Käse, Kaffee, Cognac.

Und dann reagiert dieser Gast empört, als ihm der Wirt eine Rechnung bringt.

Die Schweiz sitzt und schlemmt schon lange im Restaurant Europa. Dabei ist den verantwortlichen Politikern der Preis der einzelnen Speisen auf der Karte keineswegs entgangen. Sie haben diesen Preis aber geflissentlich ignoriert.

Zum ersten Mal mit einem möglichen Rahmenabkommen beschäftigt hat sich unsere Landesregierung im Januar 2008.

Zum ersten Mal übte die EU im Sommer 2010 lautstark Kritik an der Schweizer Acht-Tage-Regel.

Zum ersten Mal verlangte die EU von der Schweiz im Sommer 2011 hochoffiziell die Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie.

Und heute sind wir empört, dass Brüssel auf den Abschluss eines Rahmenabkommens drängt?

Heute fühlen wir uns überrumpelt, dass die EU eine Abschwächung der Acht-Tage-Regel verlangt?

Dass sie auf der Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie beharrt?

Tatsächlich trifft das am Freitag veröffentlichte Rahmenabkommen das Schweizer Publikum wie ein Schlag in die Magengrube.

Denn dieses Publikum war auf einen solchen Vertrag nicht vorbereitet. Um der SVP kein Futter zu geben, haben die übrigen Parteien, hat allen voran der Bundesrat das Thema Europa in den letzten Jahren wider besseres Wissen als Gratis­menü à la carte dargestellt. Man prägte das Bild vom Bilateralismus als «Königsweg» und suggerierte
damit, dass alles ganz toll laufe in unseren Beziehungen zur EU.

Dass ausgerechnet das selbsternannte Mutterland der direkten Demokratie an einen «Königsweg» glauben wollte: Wie falsch das klingt, ist offenbar niemandem aufgefallen.

Kreuzfalsch wirkt das Verhalten des Bundesrats bis heute. Offenbar ist unsere Exekutive mit dem Abkommen, das Staatssekretär Roberto Balzaretti in Brüssel ausgehandelt hat, nicht zufrieden. Wenn dem aber so ist: Warum hat man den Diplomaten auf seiner Mission allein gelassen und dieses Geschäft nicht zur Chefsache erklärt? Warum ist in den letzten zwölf Monaten nie eine Dreierdelegation der Landesregierung zu den Verhandlungen nach Brüssel gereist? Hätte man es auf diese Weise nicht doch eventuell geschafft, dass die EU zumindest die Unionsbürgerrichtlinie aus ihrem Forderungskatalog streicht?

Wie bei einer solchen Ausgangslage eine intelligente und konstruktive Europa-Diskussion möglich sein soll, bleibt schleierhaft. Dass es eine solche Diskussion braucht, steht ausser Frage: Das Rahmen­abkommen liegt auf dem Tisch, über kurz oder lang muss die Schweiz dazu Ja oder Nein sagen. Lange wird uns der Wirt in Brüssel keinen Kredit mehr geben.

Unsere Regierung freilich legt nun noch einen drauf. Am Freitag präsentierte sie ausgerechnet Ueli Maurer als neuen Oberverantwortlichen für das EU-Dossier. Dabei hat der SVP-Magistrat aus seiner Verachtung für die Europäische Union nie einen Hehl gemacht.

Die Lage ist ernst. Und der Bundesrat genehmigt sich einen weiteren Cognac. Und ja – warum auch nicht? – bitte noch einen schönen Stumpen und die Jasskarten. 

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