Das meint SonntagsBlick zur Tragödie um Daniel Küblböck
Tödlicher Applaus

Das meistdiskutierte Thema der Woche in der Schweiz? Nicht der AHV-Steuerdeal (zu kompliziert) oder die Fair-Food-Initiative (zu weit weg). Sondern das spurlose Verschwinden des mässig talentierten «DSDS»-Teilnehmers Daniel Küblböck.
Publiziert: 16.09.2018 um 00:02 Uhr
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Aktualisiert: 18.01.2019 um 11:42 Uhr
Jean-Claude Galli

Das meistdiskutierte Thema dieser Woche in der Schweiz? Nein, nicht der AHV-Steuer-Deal (zu kompliziert), nicht die Fair-Food-Initiative (zu weit weg). Sondern das spurlose Verschwinden des eher mässig talentierten Sängers Daniel Küblböck (33), der 2003 bei der Castingshow «Deutschland sucht den Superstar» Dritter wurde und letzten Sonntag vor der Küste Kanadas vom Kreuzfahrtschiff Aidaluna verschwand.

Womit wir schon beim Kern der Sache wären. In Politik und Wirtschaft mitzureden, ist anspruchsvoll und setzt Wissen voraus. Showthemen gelten als allgemein zugänglich, jeder kann sich als Experte fühlen. Geschmack ist halt relativ, so die Begründung. Den Exponenten garantiert das im Erfolgsfall die grösstmögliche Zustimmung, im Negativen hagelt es ungehemmte Ablehnung und allgemeine Verdammnis.

Wer beim Taubenzuchtbewerb in Marbach-Wiggen LU durchfällt, ist wütend auf sich selber, die Jury oder die Konkurrenten. Bei Daniel Küblböck kam das Millionenpublikum mit unzähligen Meinungen hinzu, die sich unmöglich kontrollieren lassen. Für jemanden, der weiss, dass andere besser singen, und der sich grundsätzlich unsicher fühlt, ein verheerendes Feld.

Forderungen, man müsse Castingshow-Kandidaten oder die TV-Sender nun stärker kontrollieren, gehen von dem Missverständnis aus, solche Plattformen machten Menschen krank oder verrückt. Schwere Schäden hatte Küblböck schon in der Kindheit erlitten.

Den anfänglichen Jubel empfand er als Balsam, die Buhrufe dann als Mobbing. Wer überzeugt ist, für andere wichtig zu sein, verträgt grundsätzlich keine Kritik – ob sie nun zutrifft oder nicht. Und wer glaubt, Niederlagen liessen sich überspielen, der verzweifelt, sobald das Rampenlicht ausgeht.

Zwei Aspekte sind in diesem Fall besonders bemerkenswert. Erstens der Ort seiner letzten Bühne: Kreuzfahrtschiffe gelten, in Deutschland vor allem durch das seit Jahrzehnten bekannte «Traumschiff», als Hort von heiler Welt und Harmonie. Psychisch angeschlagene Menschen stellt man sich dort eher nicht vor. Die Frage bleibt, ob Küblböck diesen Schauplatz bewusst für einen letzten Hilfeschrei gewählt hat: Hey, ihr Glücklichen, schaut doch endlich mal, wie mies es mir wirklich geht!

Zweitens häufen sich derzeit Dramen um Castingshow-Teilnehmer der ersten Generation, aus der auch Küblböck stammte. Früher wurden im Showgeschäft fast ausschliesslich Figuren bekannt, die ein Instrument beherrschten oder über andere künstlerische Qualitäten verfügten.

Angesichts der zahllosen nicht sonderlich talentierten Möchtegern-Künstler, die in den vergangenen 15 Jahren vorgeführt wurden, müssen wir uns auf weitere Tragödien gefasst machen. Es ist im Übrigen kaum auszudenken, was später einmal mit den vielen arbeitslos gewordenen Influencern passiert, wenn auch dieser Hype vorbei ist.

Was wir tun können: aufrichtig sein, wenn uns jemand fragt, was wir von seinen Liedern, Bildern oder Büchern halten. Falscher Applaus ist reines Gift.

Denn am Ende war Küblböcks Wunsch jener, mit dem wir alle zur Welt kommen: Ich will doch nur, dass ihr mich liebt!

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