Das meint SonntagsBlick zum Fall Chemnitz
Die Trostlosigkeit ist das grösste Problem

Publiziert: 02.09.2018 um 14:30 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 01:42 Uhr
Tobias Marti
Tobias Marti, Reporter

Sind das Rechtsextreme? Der Schreiner in Trachtenjacke, der das Kreuz aus Eichenholz gezimmert hat. Der Kumpel mit Bier in der Hand und Dalmatinerdame an der Leine. Der Italiener, der kaum Deutsch spricht und zurück nach Bayern möchte, weil es dort sicherer ist. Sie alle kannten das Opfer von Chemnitz, trauern um Daniel H. am Tatort. Und sie sind wütend.

Auf die Politik. Die hat versagt. Bereits bei der Wende. Die Bundesrepublik wurde einfach auf die DDR draufgestülpt. Alles wurde umgekrempelt. Auch Dinge, die funktionierten, wie die Kinderbetreuung oder die Gemeinschaftspraxen der Ärzte. Wie sie das finden, wurden die Bürger nicht gefragt. Manches wird jetzt wieder eingeführt und von den Politikern als Neuheit verkauft. Die Ossis lachen dann bitter.

Das Ergebnis: Die Politik holt die Leute nicht mehr ab. Die Bürgermeisterin wird ausgebuht, man spricht von «denen da oben». Die Flüchtlingskrise verstärkte das ­Gefühl, von der Politik vergessen worden zu sein. Mancher hier spricht von Heimat, meint aber ­Identität. Die haben viele Menschen hier verloren.

Aber auch die Zivilgesellschaft hat versagt. Rechtsextremen muss man entgegentreten, gerade, wenn es nur einzelne sind, wie hier immer betont wird. Rassismus ist keine Meinung, sondern einfach Rassismus. Kritik an Rechtsextremen ist hier aber selten. Der Nachbar oder Onkel sei halt so, entschuldigen sich die Leute halbherzig. Und man darf sich von den Populisten nicht vor den Karren spannen lassen. AfD-Ideologe Björn Höcke und Pegida kommen in die Stadt, um zu trauern. Es sind Krokodilstränen, die sie ­vergiessen. Es geht ihnen allein um Aufmerksamkeit, auch auf Kosten der Chemnitzer.

Die Menschen hier glauben den Medien nicht mehr. Das ist gefährlich. Nach drei Tagen in Chemnitz wird aber auch klar, dass die Medien ein überzeichnetes Bild geliefert haben. Das vermeintliche Krisengebiet ist einfach eine abgehängte Gegend. Es ist vor allem langweilig hier in Chemnitz, und das ist ein Problem. Auch für die vielen jungen Männer, die als Flüchtlinge gekommen sind. Sie sind omnipräsent, in den Strassen wie in den Diskussionen. Mancher Flüchtling wurde Opfer, mancher spielt Opfer, mancher ist Täter. Allen gemein ist, dass sie nichts zu tun haben. Es geht ihnen wie vielen ostdeutschen Jugendlichen.

Der Schreiner, der Kumpel und der Italiener haben gestern Samstag eine weisse Rose angesteckt und haben am Trauermarsch teilgenommen. Nicht wegen der AfD, Pegida, der Krawalle, der Gegendemo oder der Ausländer. Sie waren da für Daniel H.

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