Mieter können beim Neubau mitentscheiden
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Wohnung statt Haus:Mieter können beim Neubau mitentscheiden

Den Hartmanns sind die Immo-Preise egal
«Wir wollen gar kein Haus kaufen!»

Die Schweiz streitet über ungerechte Immo-Preise, die vielen Familien den Haustraum zerstören. Die Hartmanns kümmert das nicht. Denn: Mieten ist günstiger!
Publiziert: 01.08.2021 um 00:37 Uhr
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Aktualisiert: 03.08.2021 um 09:32 Uhr
Der Traum vom Eigenheim ist ungebrochen.
Foto: www.villa-am-see.ch
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Danny Schlumpf

Die Nachfrage reisst nicht ab: Der Traum vom Eigenheim treibt die Immo-Preise immer mehr in die Höhe. Die Hartmanns aus Chur GR verwundert das. Sie sind Mieter – und glücklich: «Wir wollen gar kein Haus kaufen!», sagt Annina Hartmann (28).

Die Bündnerin lebt mit ihrem Mann Marco (35) und der 15 Monate alten Tochter Emilia in einer 135-Quadratmeter-Wohnung. Für 4,5 Zimmer und einen Parkplatz bezahlen sie 2450 Franken Miete pro Monat – rund 30 Prozent des Einkommens, das die Radiomoderatorin und der Fotograf erwirtschaften.

In einer vergleichbaren Eigentumswohnung würden sie bis zu viermal weniger Hypozinsen zahlen. Doch für Annina Hartmann ist das kein Argument: «Die Unterhalts- und Nebenkosten gehören auch in die Rechnung.» Ihre Schwester lebt in einem Eigenheim und hat soeben 40'000 Franken für einen neuen Ofen ausgegeben. «Wenn bei uns die Heizung nicht funktioniert, melden wir das dem Vermieter», sagt Hartmann. Am nächsten Tag sei das Problem behoben. «Wir kriegen für unsere Miete auch etwas zurück.»

Hypotheken als Schuldenfalle

Mehr noch: «Unter dem Strich ist Mieten günstiger», sagt Immobilienexperte Andreas Loepfe (57) von der Uni Zürich. Hinzu komme die grössere Flexibilität: «Wer nicht ein einziges Wohnprodukt für das ganze Leben will, kann sich als Mieter in jeder Lebensphase die passende Wohnung suchen.»

Annina Hartmann ist im Engadin aufgewachsen. Dort stehen viele Einfamilienhäuser – und der Druck ist gross, selber eins zu besitzen. Das spürte Hartmann schon als 16-Jährige: «Mein damaliger Freund und ich stritten tatsächlich darüber, ob wir irgendwann ein Haus kaufen sollten.» An ihrer Überzeugung hat sich bis heute nichts geändert – auch deshalb, weil sie keine Schulden machen will. Ihr Mann formuliert es so: «Wir haben als Kinder gelernt, dass wir mit einer Zwanzigernote etwas für 20 Franken kaufen können.» Aus diesem Grund fahren die Hartmanns einen Skoda statt einen geleasten BMW. Und darum wollen sie auch keine Schulden bei der Bank.

So weicht die Familie einer Gefahr aus, die hierzulande auf vielen Konten lauert: Die Schweizer haben Hypothekarschulden von insgesamt 1134 Milliarden Franken. Solange die Immo-Werte steigen, ist das kein Problem. Doch diese Preise sind zyklisch – der nächste Crash kommt bestimmt.

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Mieter im Aufwind

Warum ist der Traum vom Eigenheim trotzdem so verbreitet? «Wohnen ist ein komplexes Gut», sagt Finanzberaterin Doris Schönemann (78). «Es ist ein Gebrauchsgut wie ein Auto. Besitzerstolz spielt eine wichtige Rolle.» Wohneigentum sei aber auch ein Vermögenswert, betont Schönemann: «Für viele ist es sogar der grösste Teil ihres Besitzes – und das verbunden mit einem grossen Kredithebel.»

Deshalb sei Wohneigentum ein ökonomisch gewagtes Unternehmen, sagt Andreas Loepfe von der Uni Zürich. «Bei nüchterner Betrachtung ist es sicherer, sein Geld in Vorsorgeprodukte, Aktien oder Fonds zu investieren. Sie weisen alle ein weit besseres Verhältnis von Risiko und Ertrag aus.»

Das tun die Hartmanns: Sie stecken ihr Geld in die dritte Säule. Als Mieter profitieren sie überdies von den aktuellen Marktverhältnissen: Das Angebot an Eigenheimen ist in den letzten fünf Jahren um 30 Prozent gesunken – die Nachfrage ging um 30 Prozent rauf. Bei den Mietwohnungen hingegen stagniert die Nachfrage – und das Angebot ist um 40 Prozent gestiegen.

Müssen die Mieten sinken?

«Das ist für Investoren und Mieter gut», sagt Robert Weinert (42), Immobilienexperte von Wüest Partner. «Gerade bei etwas grösseren Wohnungen mit drei bis 4,5 Zimmern, die seit Ausbruch der Pandemie immer gefragter sind, gibt es viel Leerstand und immer noch eine rege Bautätigkeit.» Das vergrössere die Auswahlmöglichkeit und wirke sich beruhigend auf die Preise aus.

In der Tat: Seit 2015 sind die Mietangebotspreise um acht Prozent gesunken. Schaut man allerdings auf die letzten 20 Jahre, sind die Preise um 20 Prozent gestiegen. «Bis zu einem Drittel der Haushaltsausgaben gehen in der Schweiz für die Miete drauf», sagt Natalie Imboden (50), Generalsekretärin des Mieterinnen- und Mieterverbands. Das sei zu viel – gerade mit Blick auf die tiefen Zinsen, von denen die Vermieter profitierten: «Sie müssen die Mieten senken», sagt Imboden.

Bloss: «Wohnraum entsteht nicht von selbst», sagt Wirtschaftsprofessor Christian Hilber (52) von der London School of Economics. «Der Markt muss auch für die Vermieter interessant bleiben.» Die Schweiz mache insgesamt eine sehr gute Wohnungspolitik, sagt Hilber. «Die relativ milde Form des Mieterschutzes verhindert massive Preissteigerungen und willkürliche Kündigungen. Trotzdem bleiben Investitionen in Mietobjekte attraktiv.» Deshalb rät Hilber vor zu starken Eingriffen in das System ab.

Für die Hartmanns passt das Preis-Leistungs-Verhältnis. Sie sind sich einig: «Mieten ist sexy!»

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