Das Traumhaus auf Befehl
So hilft Dir KI beim Eigenheim

Künstliche Intelligenzen spucken Bilder schöner Gebäude nach Stichworten aus. Aber das ist längst nicht alles. KI in der Architektur wird nicht nur unsere Häuser, sondern ganze Städte verändern – teilweise ganz unabsichtlich.
Publiziert: 01.09.2023 um 17:50 Uhr
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Aktualisiert: 16.10.2023 um 16:44 Uhr
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Silvia TschuiGesellschafts-Redaktorin

Wer auf Social Media ist und sich ein bisschen für Architektur interessiert, für den sind die Bilder spektakulärer Gebäude, die es einem in den Feed spült, nichts Neues. Neu ist aber, dass viele der spektakulärsten Gebäude in der realen Welt gar nicht existieren. Sie wurden auf irgendwelchen Servern von künstlichen Intelligenzprogrammen namens Midjourney oder Fotor berechnet. So gibt es plötzlich überaus wunderbar dekorierte Art-déco-Glaspaläste, bei denen einem die Augen übergehen, oder modernste Gebäude mit kühnsten Linienführungen, die dennoch diverse Pflanzen in Fassaden und Balkonen integrieren. Ganze Burgen in Felswänden, Villen aus Glas auf schwimmenden Inseln mit integriertem Wasserfall oder Bibliotheken mit Fenstern aus ornamental ziseliertem, hauchdünnem Stein. 

Der Fantasie scheinen keine Grenzen gesetzt – oder etwa doch? Gespräche mit Fachleuten zeigen jedenfalls: Künstliche Intelligenz wird in Zukunft unsere Gebäude und Städte verändern – und nicht nur zum Guten, sollte es keine Regulierungen geben. Bleiben wir kurz bei Einzelgebäuden, bevor wir zu Städtebaulichem übergehen: Jeder mit einem Internetzugang und etwas Verständnis für Architektur kann sich heutzutage mit einem der vielen KI-Bildprogramme innert einiger Sekunden ein Traumhaus generieren lassen, damit, falls Bauland und genügend Kleingeld vorhanden ist, zu einem Architekten gehen und sagen: Bitteschön, das hätte ich gerne. Der Beruf des Architekten würde dann noch darin bestehen, abzugleichen und zu sehen, was mit den baulichen Regulierungen, etwa Zonenplänen und Ausnützungsziffern, machbar ist, und dies entsprechend anzupassen. 

Neues kann durch KI nicht wirklich entstehen, …

Was für Bauherren und Einzelne wunderbar klingt, ist das Ende der Individualität, sagt ETH-Dozent Olaf Grawert (36). Der Architekt, der als Partner im Architekturbüro Bplus.xyz in Berlin leer stehende Gebäude umnutzt, Ausstellungen konzipiert oder an der Architekturbiennale 2021 den Deutschen Pavillon kuratierte, forscht an der Schnittstelle von Architektur, Ökonomie und Politik. Er sieht KI in der Architektur zum einen als grosse Chance, um mit der Fülle an Aufgaben effizienter umzugehen, gleichzeitig aber auch kritisch – und das gleich auf mehreren Ebenen: «Was die Architektur betrifft, kann KI ja nur vermeintlich Neues aus Bildern von Gebäuden zusammensetzen, die es schon gibt. Man kann sich zwar ein Haus wünschen, das wie von Zaha Hadid oder Herzog & de Meuron entworfen aussieht, das geht aber nur, weil diese Stararchitekten bereits so viele Gebäude gebaut haben, dass es genügend Bilder gibt, auf die künstliche Intelligenzen zurückgreifen können. Architektur wird so zum einheitlichen Bild, etwas wirklich Neues kann es durch diese Lernmodelle aber nie geben.» Für Architekten würde dies bedeuten, dass ihr Beruf in Zukunft zur rein planerischen Dienstleistung wird, das Bild umzusetzen. Auf der anderen Seite kann es für Bauherren sehr verlockend sein, sich ein Haus in genau dem Stil erstellen zu lassen, von dem man bereits begeistert ist. 

Ihr Traumhaus sieht aus wie Kater Karlo? Kein Problem … künstliche Intelligenz entwirft es Ihnen.
Foto: Thomas Meier/Midjourney
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… aber Effizienteres

Unternehmen gehen bereits einen Schritt weiter: So hat etwa die Google-Schwester Sidewalk Labs – die Muttergesellschaft beider Unternehmen ist Alphabet – in Toronto fast den Zuschlag bekommen, ein ganzes Stadtquartier zu entwickeln. Pläne für einen Stadtteil wurden ab 2015 entwickelt: Roboter hätten Müll eingesammelt, sämtliche Türen würden für autorisierte Menschen wie von Zauberhand auf- und zugehen, die Ampeln via vernetzter, KI-gesteuerter Sensoren dafür sorgen, dass nie Staus entstehen, smarte Fahrräder und Autos einander erkennen und nie mehr zusammenstossen, und beheizbare Trottoirs hätten im Winter Vereisungen gar nie aufkommen lassen. In jeden Laden hätte man einfach reinlaufen, Dinge mitnehmen und wieder gehen können, weil Geld vollautomatisiert durch Sensoren abgebucht worden wäre … bezahlt hätten es die Bürger dieser smarten neuen Stadt aber mit ihren Daten. Dagegen regte sich Widerstand seitens der Bürger: Das Projekt wurde 2020 begraben. 

Google hat aber trotzdem Ambitionen, in der Städteplanung neue Massstäbe zu setzen: So hat Sidewalk Labs die Software Delve entwickelt. Mit ihr kann man ganze Quartiere nach unterschiedlichen Parametern – beispielsweise Energieeffizienz, Kosteneffizienz, Tageslicht-Ausrichtung, Optimierung der Zugangswege – planen und so monatelange menschliche Planungsarbeit ersetzen. Die Software wird von Entwicklern, etwa in London, bereits eingesetzt. 

Einen Schritt weiter ist China, wo der Staat im Alleingang über Datenschutzbestimmungen entscheidet und die gesammelten Daten mit diversen Firmen teilt. Dort sind bereits ganze Fabriken durch KI optimiert, Zahlungssysteme funktionieren, etwa in Peking, ganz einfach via Gesichtserkennung. Gekoppelt mit dem in vielen Städten gängigen sozialen Ranking-System, ist so aber bereits eine Realität entstanden, die im Westen eher zu Schaudern führt: Wer etwa in der Stadt Rongcheng bei Rot über die Strasse geht, bekommt Abzug – und deshalb vielleicht eine Wohnung in einem begehrten Stadtteil oder eine Lebensversicherung nicht. 

Unbeabsichtigte Entwicklungen können ebenfalls Auswirkungen auf unsere Städte haben

Aber nicht nur für einzelne Bauherren, auch städtebaulich werden künstliche Intelligenzen grosse Auswirkungen haben – auch durch Apps, die eigentlich gar nicht für Architektur eingesetzt werden. Als Beispiel für seine eigene Stadt führt der in Berlin lebende Grawert Carsharing an: «In Berlin wird Carsharing so rege benutzt, dass es sich fast anfühlt, als sei es Teil des öffentlichen Verkehrsnetzes.» Der Haken an der Sache: Nicht der Staat oder die Öffentlichkeit, sondern ein Unternehmen – etwa BMW oder VW – entscheidet, wo sich das Modell lohnt und wo nicht. In Berlin wurde ganz konkret entschieden: Dort, wo die Sozialwohnungen beginnen, endet das Geschäftsmodell. Das bedeutet, dass es für Menschen je nach Wohnort einen Unterschied gibt, wie sie sich bewegen können. So werden begehrenswerte Stadtteile noch begehrenswerter, während andere Teile abgehängt werden. Und das wiederum befeuert Ungleichheit und soziale Spannungen.

Grawert sieht einen Wechsel in den Werten, der sich schleichend abspielt und öffentlich viel zu wenig diskutiert werde: «Städte wurden immer unter einem Leitbild gebaut. Da sassen Entscheidungsträger, gewählte Vertreter und Planer zusammen und überlegten sich: Für wen ist die Stadt, wie soll sie aussehen, wie organisiert man sie am besten?» Als Beispiel führt Grawert das seit den 1980er-Jahren vorherrschende Konzept der «Stadt der kurzen Wege» an, in dem Bedingungen geschaffen werden, dass räumliche Distanzen zwischen Wohnen, Arbeit, Nah-Versorgung, Dienstleistungen, Freizeit- und Bildungsorten gering sind, das Verkehrsaufkommen verringert und die Lebensqualität so erhöht werden können. Dieser Planung seien in Europa in jüngerer Zeit aufklärerische und demokratische Werte, wie Freiheit, Brüderlichkeit, Gleichheit, die aus der Französischen Revolution stammten, zugrunde gelegen. Und das habe sich jetzt schon verändert: Indem man Entscheidungen darüber privaten Anbietern überlässt, treten andere Werte an diese Stelle: etwa Sicherheit, Nutzen oder Komfort. Aber das seien eben nicht gesellschaftliche, sondern unternehmerische Werte, die sich daran orientieren, Gewinne zu optimieren – für das Unternehmen, nicht für den Bürger. 

Wie Städte aussehen, hat mit unseren Daten zu tun

Dass es auch anders geht, zeigt die Vordenkerin Francesca Bria (45). Die gebürtige Römerin ist Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin, Beraterin der Europäischen Kommission in Fragen der zukünftigen Internet- und Smart-City-Politik, Professorin am Institut für Innovation und öffentliche Zwecke am University College London (UCL) und Präsidentin des nationalen italienischen Innovationsfonds. Sie plädiert für eine Demokratisierung der Daten – also dass Daten, die Einzelpersonen generieren und die aktuell grosse Techfirmen abschöpfen, den Bürgern als Kollektiv gehören, ähnlich wie die Luft zum Atmen. Welche Auswirkungen das städteplanerisch haben kann, zeigt sie in Barcelona, auf Einladung der dortigen Bürgermeisterin Ada Colau (49). 

Dort hat die Stadt in einem eigens ausgehandelten Deal mit dem britischen Mobilfunkanbieter Vodafone die anonymisierten Bewegungsdaten der Bürger ausgewertet und daraus mithilfe von automatisiertem Lernen eine bessere Verkehrspolitik abgeleitet. So sind unter anderem grüne Blocks, sogenannte «Superblocks» entstanden, Quartiere, um die der Strassenverkehr geleitet wird – mit positivem Resultat für die Luftqualität, weniger Lärm und mehr Umsatz in den dortigen Geschäften. Überlässt man unsere Daten also nicht einfach Techfirmen und ihren Algorithmen, sondern reguliert sie staatlich und verwaltet sie als Bürger oder als Stadt selbst und stellt künstliche Intelligenz in den Dienst öffentlichen Interesses, anstatt dies Techfirmen zu überlassen, kann KI also durchaus auch Positives für unsere Städte und die Art und Weise, wie wir leben, bedeuten. 


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