Leben im ersten energieautarken Haus der Schweiz
Wo man sich selbst genügt

Familie Vogt zieht in ein Mehrfamilienhaus ein, das an kein öffentliches Strom- und Gasnetz angeschlossen ist – und rundum Energie spart. Der Start in ein weltweit beachtetes Abenteuer.
Publiziert: 09.06.2016 um 16:09 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 15:25 Uhr
Das Haus generiert dank seiner Photovoltaik-Fassade Strom.
Foto: Philippe Rossier
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Christina Gubler (Text) und Philippe Rossier (Fotos)
Martin (40) und Corrinne (36) Vogt sind mit ihren Kindern Lynn (4) und Wyatt (1) frisch ins energieautarke Haus eingezogen.
Foto: Philippe Rossier

Lynn weiss sofort, welches Zimmer sie will: jenes mit den bodentiefen Fenstern und dem Gartenausgang. Das viereinhalbjährige Mädchen ist heute mit seinen Eltern Corinne (36) und Martin Vogt (40) angetrabt zur Wohnungsübergabe. Auch Brüderchen und Nesthäkchen Wyatt (1) ist da – und Experten, Publikum, Journalisten.

Die Liegenschaft im zürcherischen Dorf Brütten ist ein Pionierbau. Sie versorgt ihre neun Mietwohnungen ausschliesslich mit Energie aus eigener Produktion. Ein weltweites Novum. Bereits das Aufrichtefest im November 2015 lockte deshalb jede Menge Fachleute an. «Schweiz aktuell» berichtete damals live aus der Spreitenbacher Umwelt-Arena, die das dreistöckige Gebäude realisiert hat. An der offiziellen Einweihungsfeier am Montag waren TV und Presse wiederum dabei – sogar Energieministerin Doris Leuthard reiste dazu an.

Doch nicht nur das Wunderwerk der Energieeffizienz steht im Rampenlicht. Neugier weckt auch die Frage, wie es sich darin leben lässt. Um das herauszufinden, wird das SonntagsBlick Magazin Familie Vogt durch die ersten Monate im energieautarken Haus begleiten. Erste Meinungen: Corinne Vogt – so wie Tochter Lynn auch – ist schon nach wenigen Schritten von ihrem künftigen Reich begeistert. Den anthrazitfarbenen Gussboden mit der lebendigen Struktur findet sie «cool». Martin Vogt dagegen beäugt den Belag noch skeptisch. «Damit muss ich mich noch anfreunden», sagt er.

Fasziniert: Energieministerin Doris Leuthard knipst die digitale Anzeige, während Initiant Walter Schmid das Haus erklärt.
Foto: Philippe Rossier

 

Der Boden ist ein Wärmegenerator

Doch er weiss, dass das dunkle Material nicht grundlos gewählt worden ist. Es absorbiert das einfallende Sonnenlicht und hilft mit, Wärme zu generieren. Im neuen Haus, dessen Wohnungen zu marktüblichen Preisen vermietet werden, ist alles darauf angelegt, keine Energie zu vergeuden. In ihrer 118 Quadratmeter grossen 4½-Zimmer-Wohnung kostet Familie Vogt der Strom keinen Rappen. Vorausgesetzt, sie verbraucht nur 2200 kWh pro Jahr. Das ist das Budget, das sie zugute hat. Hält sie dieses nicht ein, schlägt jede zusätzlich verbrauchte kWh mit einem Preis zu Buche, der zwei- bis dreimal höher als der normale Marktpreis ist. Dieser Betrag kommt in einen hausinternen Topf. Gelingt es Vogts aber, unter Budget zu bleiben, werden sie aus dem Topf entsprechend entlöhnt. Dieses Bonus-Malus-System gilt für alle Bewohner.

Energiesparwunder LEDs

Und es scheint gut möglich: Alle Haushaltgrossgeräte im Haus weisen die bestmögliche Effizienzklasse aus, allein das ist hilfreich. Die Bewohner müssen aber auch selber Vorkehrungen treffen. Wichtig dabei ist das Licht, erfahren die Vogts später an diesem Tag. Würde ein Durchschnittshaushalt seine 20 Lichtquellen mit alten 60-Watt-Birnen versehen, frässen sie Vogts gesamtes Jahresstrombudget weg. Mit LED-Lampen brauchts zehnmal weniger Energie, also nur 220 Kilowattstunden. Licht und Storen werden per Tablet gesteuert.

Haushaltabfall als Biogasquelle

In anderen Bereichen, die im Haus Brütten ins Gewicht fallen, sind Corinne und Martin Vogt bereits top: Sie saugen Staub mit effizientem Gerät, achten beim Einkauf auf saisonale und regionale Lebensmittel und trennen den Abfall. Ihre Rüst- und Speisereste landen künftig im Kompostcontainer, der organische Abfall wird abgeholt und zu Biogas vergärt. Dieses dient als Treibstoff für das hauseigene Gasauto, das allen Bewohnern zur Verfügung steht – nebst einem Elektroauto.

Mehr Infos: www.umweltarena.ch

Fassade mit Funktion

Die dunkle Fassade besteht komplett aus Photovoltaik-Modulen, die Sonnenlicht in Strom umwandeln. Der Solarstrom wird im Keller für den kurz- und mittelfristigen Gebrauch in Batterien gespeichert – und nicht erst ins Netz eingespeist. Als langfristige Reserve für den Winter wird er zudem in Wasserstoff umgewandelt und in dieser Form in unterirdischen Tanks aufbewahrt. Bei Bedarf lässt sich der Wasserstoff wieder in elektrische Energie und in Wärme transformieren.

Ein Teil der Sonnenenergie treibt zudem die Wärmepumpe an, die das Warmwasser für Haushalt und Heizung aufbereitet sowie die thermischen Kurz- und Langzeitspeicher füttert. Dieses ausgeklügelte System macht die Liegenschaft zum weltweit ersten energieautarken Mehrfamilienhaus.

Philippe Rossier

Die dunkle Fassade besteht komplett aus Photovoltaik-Modulen, die Sonnenlicht in Strom umwandeln. Der Solarstrom wird im Keller für den kurz- und mittelfristigen Gebrauch in Batterien gespeichert – und nicht erst ins Netz eingespeist. Als langfristige Reserve für den Winter wird er zudem in Wasserstoff umgewandelt und in dieser Form in unterirdischen Tanks aufbewahrt. Bei Bedarf lässt sich der Wasserstoff wieder in elektrische Energie und in Wärme transformieren.

Ein Teil der Sonnenenergie treibt zudem die Wärmepumpe an, die das Warmwasser für Haushalt und Heizung aufbereitet sowie die thermischen Kurz- und Langzeitspeicher füttert. Dieses ausgeklügelte System macht die Liegenschaft zum weltweit ersten energieautarken Mehrfamilienhaus.

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