Ein Wort wie Tinnitus in unseren Ohren
Hallo, hallo, hallo

Demnächst öffnet die Ausstellung «Hallo, Nachbar!» ihre Tore. Der Titel ist kein Zufall, denn das «Hallo» belästigt uns heutzutage landauf, landab. Eine Polemik.
Publiziert: 22.11.2017 um 15:40 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 14:10 Uhr
Daniel Arnet

Es sieht nicht intelligent aus, so wie ein Fisch im Aquarium: Der Mund öffnet sich leicht, die Zunge berührt kurz den vorderen Gaumen, und zum Schluss formen die Lippen ein O. Was rauskommt? Ein dümmliches «Hallo».

Tausendfach erklingt es täglich auf Strassen, Schulhausplätzen oder Bürogängen – überall dort, wo sich mehr oder weniger bekannte Personen begegnen. Hiess es früher «Sali Martin», «Grüezi, Frau Meier» oder «Guten Tag, Herr Müller», muss heute ein unanständiges und unverbindliches «Hallo» reichen.

«In den letzten beiden Jahren verbreitete sich unter jungen Leuten sehr schnell die generalisierende mündliche Anrede ‹Hallo›», stellte der deutsche Sprachwissenschaftler und Romanist Bernd Spillner (76) bereits 2014 fest.

«Hallo» hat «Grüezi», «Sali» und «Guten Tag» abgelöst.
Foto: CHRISTIAN BEUTLER
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Im Internetzeitalter greift die Hallomanie auch im Schriftverkehr um sich. Das hat seine praktischen Gründe, etwa wenn man nicht weiss, ob sich der Gruss an eine Frau oder einen Mann richtet, weil man zum Beispiel den Namen Dominique nicht eindeutig zuordnen kann. Auch im mündlichen Austausch kann sich ein «Hallo» als praktisch erweisen, weil man den Namen nicht weiss oder schlicht vergessen hat – ein «Grüezi» oder «Sali» erfordert nämlich geradezu einen Namen. Zudem lässt das «Hallo» in der Schwebe, ob man das Gegenüber nun siezen oder duzen will.

Über zwei Milliarden Klicks für den Song «Hello» von Adele

Es spricht also einiges für ein «Hallo». Ein österreichisches Institut machte 2012 eine repräsentative Umfrage bei mehr als tausend Personen. Ergebnis: 74 Prozent grüssen mit «Hallo»; 1999 waren es noch 51 Prozent. Auch in der Deutschschweiz dürfte eine klare Mehrheit das «Hallo» bevorzugen.

Hier «hallozinieren» mittlerweile selbst die Medien, wie ein Stichwortcheck im Archiv mit 2043 Treffern für 2017 zeigt: «Hallo, da bin ich wieder», titelt der BLICK am 23. Februar; das «St. Galler Tagblatt» witzelt am 7. November: «Hallo-Win-Games der Christlichen Jugendarbeit», und das Schweizer Fernsehen ruft mit «Hallo SRF» das Publikum das ganze Jahr über zu Reaktionen auf.

«Das Wort Hallo ist im Deutschen eigentlich nur üblich als Zuruf zwischen räumlich entfernten Sprechern oder bei Kommunikationsstörungen am Telefon», schreibt Professor Spillner in seinem Essay «Anrede und Grussformen im Deutschen». «Sein Vordringen im Deutschen in Anredefunktion ist mitbedingt durch andere Sprachen, insbesondere das Englische.»

Gewiss: Das grosse Hallo ist durch die Dominanz der angelsächsischen Popkultur in den deutschsprachigen Raum gedrungen – angefangen mit der Beatles-Single «Hello Goodbye» von 1967 bis hin zu Adeles Song «Hello» von 2015: Den Musikclip der britischen Sängerin haben bis heute über zwei Milliarden auf Youtube angeklickt – mehr als ein Viertel der Weltbevölkerung. «Hello, can you hear me now?», spricht Adele zu Beginn des Videos in ihr Handy.

Tatsächlich nahm der Siegeszug dieser Grussformel am Telefon seinen Anfang – vor genau 140 Jahren: 1877 gewann als fernmündliche Kontaktaufnahme das «Hello», das Erfinder Thomas Alva Edison als erstes Wort auf seinen Phonographen gesprochen hatte, gegen das «Ahoy» von Telefon-Erfinder Alexander Graham Bell. Da haben wir noch mal Glück gehabt: Man stelle sich vor, die Menschen würden sich ständig ein «Ahoi» zurufen – man würde seekrank.

Im Französischen hat sich «Allô» als erstes Wort nach der Entgegennahme eines Anrufs gehalten – aber nur dort. Bei der persönlichen Begegnung begrüsst man sich in der Grande Nation mit «Salut». Davon leitet sich das in der Deutschschweiz weitverbreitete «Salü» und «Sali» ab. Doch mehr und mehr hat «Hallo» die Überhand.

«Hallo» ist tief verwurzelt in der deutschen Sprache

Es wäre allerdings falsch, das Wort Hallo als Anglizismus zu brandmarken, denn es hat tiefe Wurzeln in der deutschen Sprache. Eine mögliche Herkunft liegt im althochdeutschen «halôn» für «rufen, holen»; eine andere in «Holla», dem verkürzten Ruf «Hol über!» an den Fährmann. So dichtete Niklaus Lenau 1836 in seinem «Faust»: «Hallo! Schon kracht das Schiff vom ersten Stosse!» Und der Komiker Otto Waalkes witzelte in den 1980er-Jahren: «Hallo, Echo! Hallo, Otto.»

Wir erkennen: Hallo ist ein Wort, das man ins Leere ruft – ins Telefon, aufs Wasser, in ein Bergtal: «Hallo?» «Hallo!» Aber ins Gesicht einer Person vis-à-vis? Nein!

Ausstellung «Hallo, Nachbar!»,vom 26. November 2017 bis 25. März 2018 im Vögele-Kulturzentrum, Pfäffikon SZ

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