Heute erscheint Stephen Hawkings (†76) letztes Buch
«Handelt jetzt!»

Dieses Frühjahr starb der Physiker Stephen Hawking (†76). Heute erscheint sein letztes Buch «Kurze Antworten auf grosse Fragen». Ein Einblick in das Vorwort und neun kurze Antworten des genialen Briten.
Publiziert: 16.10.2018 um 08:57 Uhr
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Aktualisiert: 16.10.2018 um 10:42 Uhr
Der Physiker Stephen Hawking kam 1942 im englischen Oxford zur Welt. 1963 hat man bei ihm Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) diagnostiziert, eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems.
Foto: Getty
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Stephen Hawking

Schon immer wollten die Menschen die grossen Fragen beantworten. Woher kommen wir? Was ist der Sinn und Plan hinter allem? Gibt es jemanden da draussen? Die Schöpfungsgeschichten der Vergangenheit erscheinen heute als wenig brauchbar und glaubhaft. Sie sind durch eine Vielzahl von Erklärungsversuchen ersetzt worden, die – von New Age bis Star Trek – ins Reich des Aberglaubens gehören. Allerdings kann echte Wissenschaft viel befremdlicher sein als Science-Fiction – und sehr viel befriedigender.

Ich bin Naturwissenschaftler und als solcher zutiefst von Physik, Kosmologie, dem Universum und der Zukunft der Menschheit fasziniert. Von meinen Eltern bin ich dazu ­erzogen worden, meiner grenzenlosen Neugier zu folgen und, wie mein Vater, zu forschen und nach Antworten auf die vielen Fragen zu suchen, die die Wissenschaft uns aufgibt. Mein Leben habe ich damit verbracht, in meinem Denken kreuz und quer durch das Universum zu reisen. Dabei habe ich versucht, mithilfe der Theoretischen Physik einige der fundamentalen Fragen zu beantworten. Einst dachte ich sogar, das Ende der Physik absehen und erkennen zu können – heute hingegen denke ich, dass das Wunder des Entdeckens noch lange nach meinem Tod fortdauern wird. Wir stehen zwar kurz vor einigen dieser Antworten, besitzen sie aber noch nicht.

Bedauerlicherweise glauben die meisten Menschen, echte Wissenschaft sei zu schwierig und zu kompliziert für sie. Das sehe ich ganz anders. Die fundamentalen Gesetze zu erforschen, die das Universum regieren, würde mehr Zeit erfordern, als die meisten Menschen haben. Unsere Welt käme rasch zum Stillstand, wenn wir alle versuchten, uns mit Theoretischer Physik zu beschäftigen. Aber die meisten Menschen können die grundlegenden Ideen verstehen und einordnen, wenn sie ihnen klar und ohne Gleichungen dargelegt werden, was nach meiner Überzeugung möglich ist und was ich mein Leben lang mit grosser Freude versucht habe. Es war eine wunderbare Zeit, zu leben und in der Theoretischen Physik zu forschen. In den vergangenen 50 Jahren hat sich unser Bild vom Universum erheblich verändert, und ich bin glücklich, wenn ich dazu einen Beitrag geleistet habe. Eine der grossen Offenbarungen des Weltraumzeitalters bestand darin, dass es der Menschheit die Sicht auf sich selbst ermöglichte. Betrachten wir die Erde vom All aus, sehen wir uns selbst als Ganzes. Wir nehmen die Einheit wahr und nicht das Trennende. Ein einfaches Bild mit einer unwiderlegbaren Botschaft: ein Planet, eine Menschheit.

Ich möchte mich all denen anschliessen, die unmittelbares Handeln bei entscheidenden Herausforderungen unserer globalen Gemeinschaft einfordern. Ich hoffe, dass sich, wenn ich gegangen bin, Menschen mit Einfluss und Macht finden, die Kreativität, Mut und Führungsqualitäten besitzen. Mögen sie die Kraft haben, die Ziele der nachhaltigen Entwicklung zu erreichen, und nicht aus Eigennutz handeln, sondern im Interesse des Gemeinwohls. Ich weiss nur zu gut, wie kostbar die Zeit ist. Nutzt den Augenblick! Handelt jetzt!

Wie passt die Existenz Gottes in Ihre Vorstellung vom Anfang und Ende des Universums?

Und wenn Gott existierte und Sie hätten die Möglichkeit, ihm zu begegnen, was würden Sie ihn fragen? Es stellt sich die Frage: Ist die Art und Weise, wie das Universum anfing, aus Gründen, die wir nicht verstehen können, von Gott gewählt oder durch ein wissenschaftliches Gesetz bestimmt worden? Ich glaube Letzteres. Wenn Sie wollen, können Sie die wissenschaftlichen Gesetze «Gott» nennen, aber das wäre dann kein persönlicher Gott, dem Sie begegnen und Fragen stellen könnten. Doch wenn es einen solchen Gott gäbe, würde ich ihn gerne fragen, ob er sich etwas so Kompliziertes wie die verallgemeinerte String-theorie oder die M-Theorie in elf Dimensionen ausgedacht hat.

Was war vor dem Urknall?

Nach der Keine-Grenzen-Hypothese ist die Frage, was vor dem Urknall war, sinnlos – so sinnlos wie die Frage, was südlich des Südpols ist –, weil es keinen Zeitbegriff gibt, auf den man sich beziehen könnte. Das Konzept der Zeit existiert nur innerhalb unseres Universums.

Wenn es ausserhalb der Erde intelligentes Leben gäbe, wäre es dann den Formen, die wir kennen, ähnlich oder anders?

Gibt es intelligentes Leben auf der Erde? Aber im Ernst, wenn anderswo intelligentes Leben wäre, müsste es in grosser Entfernung von uns existieren, weil es sonst die Erde schon längst besucht hätte. Und ich denke, wir hätten es bemerkt, wenn wir Besuch bekommen hätten; es wäre wie im Film «Independence Day».

Erlauben uns die Gesetze des Universums, genau vorherzusagen, was in der Zukunft mit uns geschieht?

Die kurze Antwort ist nein und ja. Im Prinzip erlauben uns die Gesetze, die Zukunft vorauszusagen. Aber in der Praxis sind die Berechnungen oft zu schwierig.

Ist der Sturz in ein Schwarzes Loch Pech für einen Raumreisenden?

Eindeutig Pech: Wenn es sich um ein Schwarzes Loch von Sternenmasse handelt, werden Sie zu Spaghetti verarbeitet, bevor Sie den Horizont erreichen. Handelt es sich dagegen um ein supermassives Schwarzes Loch, überqueren Sie den Horizont ohne Schwierigkeiten, werden aber an der Singularität zu Tode gequetscht.

Wie sieht die schlimmste Bedrohung für die Zukunft dieses Planeten aus?

Das wäre der Zusammenstoss mit einem Asteroiden, dagegen können wir uns nicht verteidigen. Die letzte Kollision fand vor 66 Millionen Jahren statt und löschte die Dinosaurier aus. Eine akutere Gefahr ist der Klimawandel, der aus dem Ruder läuft. Ein Anstieg der Meerestemperatur würde die Polareiskappen abschmelzen und die Freisetzung grosser Mengen von Kohlendioxid verursachen. Beide Prozesse könnten dazu führen, dass wir ein Klima wie auf der Venus mit einer Temperatur von weit über 250 Grad bekommen.

Bald wird das Zeitalter der zivilen Raumfahrt anbrechen. Was bedeutet das für uns?

Ich freue mich auf Weltraumreisen. Ich wäre unter den Ersten, die sich ein Ticket kaufen. Ich erwarte, dass wir bis in 100 Jahren fähig sein werden, im Sonnensystem überallhin zu reisen, vielleicht abgesehen von den äusseren Planeten. Mit Reisen zu den Sternen wird es etwas länger dauern. Ich nehme an, dass wir bis in 400 Jahren einige der nähergelegenen Sterne besucht haben werden. Es wird nicht wie in Star Trek sein. Wir werden nicht mit Warpgeschwindigkeit reisen können. Eine derartige Rundreise wird also mindestens zehn Jahre, wahrscheinlich sogar sehr viel länger dauern.

Warum machen wir uns wegen Künstlicher Intelligenz so grosse Sorgen? Der Mensch wird doch jederzeit dazu in der Lage sein, den Stecker zu ziehen!

Die Menschen fragten einen Computer: «Gibt es einen Gott?» Und der Computer sagte: »Ja. Ab jetzt« – und brannte mit dem Stecker durch.

Von welcher – kleinen oder grossen – Idee, welche die Welt verändern kann, wünschen Sie, dass die Menschheit sie umsetzt?

Das ist einfach zu beantworten. Ich wünsche mir die Weiterentwicklung der Fusionsenergie, die uns ein unbegrenztes Quantum an sauberer Energie liefern würde. Und den Umstieg auf Elektroautos. Kernfusion würde zu einer praktischen Energiequelle und uns – ohne Umweltverschmutzung oder globale Erwärmung – mit einem unerschöpflichen Vorrat an Energie versorgen.

Stephen Hawking: «Kurze Antworten auf grosse Fragen», Klett-Cotta-Verlag.
Weltweiter Erscheinungstermin des Buchs ist der 16. Oktober.

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