Zum Totlachen
Treffen sich zwei Jäger: Beide tot!

Am 1. Juli war 
der Internationale Tag des Witzes. Wie geht es dem komischen Genre, das uns wie kein anderes einzig und allein zum Lachen bringen will? Eine Bestandsaufnahme.
Publiziert: 29.06.2019 um 12:47 Uhr
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Aktualisiert: 03.07.2019 um 16:17 Uhr
Kalauer statt Kalorien: In Nürnberg (D) gibt es einen Witze-Automaten – für 20 Cent gibt es einen Scherz.
Foto: DPA
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Daniel Arnet

Kennen Sie den? Zwei ­Jäger laufen durch den Wald. Plötzlich bricht einer zusammen. Der andere wählt die Notfallnummer und sagt panisch: «Ich glaube, mein Kollege ist tot, was jetzt?» Der Notarzt am Telefon antwortet: «Beruhigen Sie sich! Zunächst müssen Sie sicher sein, dass Ihr Kollege wirklich tot ist.» Kurz Pause, dann ein Schuss. Zurück am Handy, sagt der Jäger: «Okay, erledigt, was jetzt?»

Kein Brüller, gewiss, aber ein Witz, mit dem Sie morgen am International Joke Day weltweit punkten können. Denn in einer Studie des englischen Psychologen ­Richard Wiseman (52) von der ­britischen University of Hertfordshire kürten eine halbe Million Menschen aus 70 Ländern ­unter 40'000 Witzen den oben erwähnten zum lustigsten der Welt. Was die Mehrheit gut findet, ist zwangs­läufig durchschnittlich, da es alle ­Geschmäcker treffen muss.

Einzelne Nationen hingegen haben zuweilen ein extremes, für ­Ausländer kaum nachvollziehbares Verständnis davon, was ein guter Witz ist. «Da sind zehn Ameisen. Und danke!», muss ein Japaner bloss sagen, damit sich seine Landsleute kugeln. Und Ägypter finden folgenden Witz lustig: «Warum geht ein Kamel durch die Wüste? Weil es auf die andere Seite will!»

Immer wieder totgesagt, lebt der Witz munter weiter

Und in der Schweiz? Ein Aufruf auf Blick.ch, uns den Lieblingswitz zu schicken, brachte vor zehn Tagen innert Stunden gegen 200 Einsendungen; zehn Leserwitze stehen unten zur Wahl für den besten Witz . Der am ­häufigsten eingesandte ist eine Kurzversion des weltbesten Jägerwitzes – mit fataleren Folgen allerdings: «Treffen sich zwei Jäger: Beide tot!»

Tot sind für das Münchner «SZ Magazin» nicht nur all diese Witz­figuren, sondern das Genre an sich: «Was ist lustig und liegt im Sarg? Der Witz», titelte die Freitagsbeilage der «Süddeutschen Zeitung» ­unlängst und erörterte die Frage: «Warum ist der Witz eine aussterbende Kunstform?» Der erste aufgeführte Grund: Der Witz sei ein Relikt aus der Männerwelt.

Tatsächlich ist das Witzeerzählen eine Männerdomäne, das zeigt nicht zuletzt unser Aufruf an die Leserschaft: Bloss 6,5 Prozent der eingesandten Scherze stammen von Frauen. Und wenn man in der Schweizer Showszene rumschaut, dann sind auch hier Männer die grossen Witzereisser – angefangen bei Emil Steinberger (86) über Kliby (68) und Caroline, Peach Weber (66) und Marco Rima (58) bis hin zu Alain Frei (36).

Aber sie touren alle erfolgreich durch den deutschsprachigen Raum und füllen überall die Säle. Und auf der internationale Politbühne gehören Witzbolde zu den aktuellen Siegern: In Italien ist die vom Komiker Beppe Grillo (70) gegründete Fünf-Sterne-Bewegung in der Regierung, die Ukraine hat mit Wolodimir Selenski (41) einen Spassvogel im Präsidentenamt, und Grossbritannien könnte bald unter der Führung des Scherzkeks Boris Johnson (55) stehen.

Als zweiten Grund für die Agonie des Witzes führt das «SZ Magazin» die Konkurrenz aus dem Internet ins Feld, insbesondere Formen wie das Meme – ein Bild mit einem ­kurzen, witzigen Text. Eine Beobachtung, die der Nürnberger «Lach­verständige und Wortakrobat» Oliver Tissot (56) gegenüber dem SonntagsBlick-Magazin bestätigt.

«Wer heute in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, erlebt nicht Menschen, die miteinander Spass haben», sagt Tissot, «sondern Mitreisende, die mit gesenktem Haupt dahocken und in ihre Smartphones starren, um sich dort mit Spassigem die Zeit zu vertreiben.» Und Memes sind der momentane Internethype.

Tissot setzt trotzdem mit viel Erfolg auf den guten alten Witz und bringt ihn seit Sommer 2018 in seiner Heimatstadt Nürnberg mit dem weltweit ersten Witze-Automaten ­unter die Leute – ein umgebauter Kaugummi-Automat, bei dem man einen Scherz kaufen kann, getreu dem Motto «Kalauer statt Kalorien». 20 Cent rein und eine Plastikkapsel kommt raus, in der ein ­Papierchen mit einem Witz steckt.

Eine Art stille Verschwörung unter den Zuhörern

«Papa, weisst du, wo die Dardanellen sind?» – «Frag Mama, die räumt immer weg.» Über 2000 solcher Texte dürften bis heute aus dem Witze-Automaten gefallen sein – «gekauft von Armen und Reichen, Kleinen und Grossen, Jungen und Alten», wie Tissot sagt. Einmal habe er eine ältere Dame auf frischer Tat ertappt. «Sie gestand, dass sie vor jedem Besuch bei ihren Enkeln ­extra zum Automaten komme, um Witze zu ziehen, die sie ­ungeöffnet als Geschenk mitbringe.»

Eine weise Tat, denn der Witz entfaltet seine beste Wirkung, wenn man ihn in einer Gruppe laut vorliest beziehungsweise erzählt. «Er ist, zumindest in der Moderne, vielleicht das einzige repräsentative Genre, das mündlich überliefert wird», schreibt die ungarische ­Philosophin Ágnes Heller (90) in ihrem kürzlich erschienenen Buch «Was ist komisch?».

Der Witz ist also kein Soloprogramm, sondern ein – im Idealfall persönlicher – Austausch zwischen Menschen. Und das hat Folgen. Heller: «Der öffentliche und mündliche Charakter des Witzeerzählens erzeugt eine Art stille Verschwörung unter den Zuhörern.»

Dieser Verschwörungscharakter hat als Politmasche im Internet­zeitalter nicht an Beliebtheit ein­gebüsst: Erzählte man früher hinter vorgehaltener Hand Witze über Despoten wie Hitler oder Stalin und verbündete sich dadurch mit Gleichgesinnten, macht heute US-Präsident Donald Trump (73) bei Wahlkampfveranstaltungen Witze über Minderheiten und schart so seine Gefolgschaft um sich.

Jede Gruppe bevorzugt eine bestimmte Art von Witz, mit der sie sich über eine andere lustig macht – man denke an Blondinen-Witze oder Scherze über Österreicher. Der deutsche Volkskundler Hannjost Lixfeld (1937–1998) unterscheidet in seinem Standardwerk «Witz» folgende Sujets in Scherzen: Absurdes, Makabres, ­Familiäres und Sexuelles, Gebrechen, soziale Gruppen, Ethnisches, Politisches und Konfessionelles.

«Witze sind eine Art kontrollierte Angriffslust», schrieb die «NZZ» ­neulich treffend. Der Witzerzähler macht sich lustig über andere und präsentiert sich so in einer Pose der Überlegenheit: Der englische Philosoph Thomas Hobbes (1588–1679) fasst diesen Aspekt des Witzes in seiner Theorie der Dominanz zusammen. Die Theorie der Befreiung nach Psychoanalytiker Sigmund Freud (1856–1939) beschreibt die Wirkung des Witzes auf den Zu­hörer: Das laute Herauslachen ­enthemmt von inneren Zwängen.

Witzerzähler und Witzempfänger – doch wer erfasst das Wesen des Witzes selber? Der deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) in seiner Theorie der Inkongruenz: Für ihn kommen in einem Witz zwei Geschichten zusammen, die so nicht zusammenpassen. Der Zuhörer wird zunächst in die Irre geführt, doch mit der Pointe erweist sich plötzlich die ­andere Story als Ausweg.

Man lacht, weil man sich über die eigene Intelligenz freut

Ágnes Heller verdeutlicht Kants Theorie der Inkongruenz anhand eines Rätselwitzes: «Frage: Was ist das? Bush hat einen kurzen, Gorbatschow einen längeren, der Papst hat einen, den er aber nicht benutzt, und Madonna hat keinen. Antwort: Ein Nachname.» Na? Sind Sie auch in die Sackgasse geraten und mussten darob lachen?

«Das ist das Besondere am Witz», sagt Oliver Tissot. «Die Pointe muss man erst einmal knacken – man lacht, weil man sich über die eigene Intelligenz freut, den Witz verstanden zu haben.» Verstand ist denn auch die ursprüngliche ­Bedeutung von Witz – das Wort geht auf das indogermanische «vid» ­zurück, wovon das lateinische ­«videre» (sehen, verstehen) und in der Folge das deutsche ­«wissen» abstammen.

Wenn man früher sagte, jemand habe Witz, dann meinte man, diese Person sei schlau. Erst seit Beginn des 19. Jahrhunderts steht das Wort für «einen klugen, geist­reichen Einfall» – einen Witz im heutigen Sinne also.

«Die richtige Antwort auf einen richtigen Witz ist Lachen», schreibt Heller. Und das ist gesund, wie die Gelotologie weiss, die Wissenschaft der Wirkung des Lachens, denn es setzt im Gehirn das Glückshormon Endorphin frei.

Bei allem Glücksempfinden muss die Gelotologie aber auch immer wieder von Menschen berichten, die durchs Lachen zu Tode kamen. Die britische Komikertruppe ­Monty Python machte aus dieser Tat- sache 1969 einen Sketch, in dem das ­britische Militär während des Zweiten Weltkriegs einen Witz als tödliche Waffe gegen deutsche ­Soldaten einsetzt.

Der Titel des Sketches: «The Funniest Joke in the World».

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