Streitpunkt Trinkgeld
10 Prozent aufrunden oder gar nichts geben?

Muss ein besonders guter Service vom Gast belohnt werden? Theoretisch ist die Antwort klar. Praktisch allerdings überhaupt nicht.
Publiziert: 20.12.2018 um 10:37 Uhr
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Aktualisiert: 07.09.2020 um 17:29 Uhr

Eine kleine Umfrage auf der BLICK-Redaktion zeigt: Neun von zehn Kolleginnen und Kollegen geben regelmässig Trinkgeld – und zwar grosszügig. Sie geben mehr als zehn Prozent des Rechnungsbetrags als Belohnung für guten Service. Nur einer sagt, er runde höchstens auf, damit die Bedienung nicht mühselig Münz aus dem Portemonnaie klauben müsse. Ansonsten gehe er davon aus, dass das Trinkgeld in der Schweiz inbegriffen ist.

Hauptargument der grosszügigen Trinkgeld-Geber sind die Löhne in der Gastronomie. Ohne Trinkgeld, so der Tenor, könne man in dem Gewerbe nicht überleben. Befürchtet wird auch, dass das Personal missgestimmt ist und man dies spätestens beim nächsten Besuch zu spüren bekommt.

Muss man nun Trinkgeld geben oder nicht?

Es zeigt sich: Rein theoretisch hat der vermeintlich knausrige Kollege recht. Seit 1974 ist das Trinkgeld im Preis tatsächlich inbegriffen. «Die Abgabe eines Trinkgeldes ist heute eine freiwillige, persönliche Geste der Wertschätzung des Gastes gegenüber dem Mitarbeitenden», sagt Brigitte Meier-Schmid von GastroSuisse dazu: «Wie die Erfahrung zeigt, wird ein Trinkgeld in der Praxis vor allem dann gewährt, wenn damit eine besondere Aufmerksamkeit anerkannt werden soll – etwas, das man mehr erhält, als zu erwarten wäre.» Das Argument, wonach man «im Service» ohne Trinkgeld kaum überleben könne, beantwortet GastroSuisse mit Hinweis auf den im Gastgewerbe geltenden Landes-Gesamtsarbeitsvertrag, der unter anderem auch die Mindestlöhne regle. «Der Lohn ist Sache des Arbeitgebers und soll nicht quasi von der guten Laune des Gastes abhängen.» Selbstverständlich bleibe es dem Gast aber unbenommen, aus freien Stücken ein Trinkgeld zu geben, wenn er das als angebracht erachte.

Geld vermehrt sich auf vielen Konten nicht

«Wir würden gerne höhere Löhne zahlen.»

«Trinkgeld ist notwendig und wird erwartet», sagt Othmar Gruber vom Restaurant «El Camino» in Aarau. Von einem Mindestlohn für Service-Mitarbeiter von 4200 Franken (für Angestellte mit Fähigkeitszeugnis EFZ und Weiterbildung, Anm. der Red.) könne keiner leben: «Daher ist Trinkgeld notwendig, ausser, es ist kein guter Service.» Seit das Trinkgeld offiziell inbegriffen sei, wisse der Gast allerdings nicht mehr, wie er reagieren solle, sagt Gruber weiter und: «Dies ist auch ein Resultat des Non-Savoir-vivre.»

Dieser Meinung ist auch Manuela Schneider vom Gasthof Schützen. «Die Löhne, welche ein Betrieb – wirtschaftlich gedacht – zahlen kann, sind immer noch zu klein», sagt die Geschäftsführerin zu Blick am Abend: «Wir würden dem Personal gerne höhere Löhne zahlen. Dies ist jedoch bei einem Personalkostenanteil von 45 bis 50 Prozent unmöglich.» Die Marche in dieser Branche sei viel zu klein.

«Auch bei uns ist das Thema Trinkgeld umstritten», erzählt Andreas Wyss, Geschäftsführer der Zürcher Kronenhalle und Delegierter des Verwaltungsrats. Dass manche Gäste das Gefühl haben, schräg angesehen zu werden, wenn sie kein oder vermeintlich zu wenig Trinkgeld geben, bezeichnet Wyss als Unsitte. Im Gegensatz zu anderen Betriebsführern gibt der Kronenhalle-Chef auch an, dass sein Personal zum Überleben nicht auf Trinkgeld angewiesen sei. Selbstverständlich «wird kein Mitarbeiter etwas gegen ein Overtip haben».

Oft keine kostengerechte Verrechnung

Ein Teil des Problems sieht Wyss bei den Restaurants, die etwa Mittagsmenüs mit Vorspeise und kleinem Dessert für 12 bis 15 Franken anbieten, was selbst in der Stadt Zürich anzutreffen sei: «Das ist keine kostengerechte Verrechnung.» Auf diese Weise könnten keine fairen Löhne gezahlt werden. Dass Trinkgeld bei vielen Dienstleistenden einen grossen Teil des Lohns ausmache, sei problematisch. Zum einen werde Trinkgeld kaum versteuert, zum anderen basiere die Pension auf dem ausgewiesenen Lohn und falle später entsprechend geringer aus.

Wer am Ende vom Trinkgeld profitiert ist von Betrieb zu Betrieb verschieden. Im Schützen in Aarau wird es unter dem Personal fair aufgeteilt. Schneider: «Man ist ein Team. Ohne Küche, Abwasch und Putzfrauen geht es einfach nicht.» In der Kronenhalle behält das Trinkgeld, wer es bekommt. Etwaige Ungerechtigkeiten, etwa beim Küchenteam, würden mit dem Lohn ausgeglichen.

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