Proteste gegen Knöppel und Feine Sahne Fischfilet
Frauenfeindliche Bands oder ironiebefreite Jugend?

Die Absage eines Konzerts der St. Galler Punkband Knöppel und die Proteste gegen den Auftritt der deutsche Politpunker Feine Sahne Fischfilet zeigen: Das Zeitalter der Ironie ist vorbei. Bei den Jungen herrscht eine neue Ernsthaftigkeit. Ist das gut oder schlecht?
Publiziert: 01.07.2023 um 13:02 Uhr
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Aktualisiert: 03.07.2023 um 13:06 Uhr
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Silvia TschuiGesellschafts-Redaktorin

Achtung, dieser Artikel wird nicht jugendfrei. Wer also unter 16 Jahre alt ist, liest nicht weiter, es kommen schlimme Wörter vor. So. Nachdem nun die in Teilen der Gesellschaft mittlerweile obligate Triggerwarnung aus dem Weg ist, können wir anfangen.

Also: Ist es ironisch und deshalb lustig, wenn erwachsene Männer auf der Bühne «GLIEED!» schreien? Oder ist das einfach nur primitiv und doof und sollte deshalb verboten werden, und besagte Bands erst gar nicht eingeladen? So wie die St. Galler Kult-Punkband Knöppel, die im Herbst ihr neues Album «Sex, Jazz, Scheisse» taufen wollte, und zwar in der St. Galler Grabenhalle. Doch die lehnt jetzt ab: Die Fans seien eine «pöbelnde, unkontrollierbare Masse» und die Texte teilweise frauenfeindlich. Hierzu mehr später, zunächst der grössere Kontext: Knöppel – die im Übrigen in der Ablehnung der Grabenhalle kein grosses Problem sehen und dann halt einfach anderswo spielen – geht es ähnlich wie anderen Bands, deren Auftritte in jüngster Zeit umstritten sind.

In frischer Erinnerung ist natürlich die anhaltende Rammstein-Kontroverse um Sänger Till Lindemann (60), dem sexuelle Übergriffe und der dehnbare Begriff Machtmissbrauch vorgeworfen werden. Das Doppelkonzert der Band in Bern vom Wochenende des 18. Juni fand unter Protesten statt.

Jan «Monchi» Gorkow der Band Feine Sahne Fischfilet wurde anonym der sexuellen Belästigung bezichtigt.
Foto: Keystone
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Proteste gegen Frauenfeindlichkeit im Musikbusiness sind natürlich notwendig und überfällig. Aber dann schwierig, wenn anonyme Vorwürfe im Raum stehen: Letzte Woche versuchte die Juso den Auftritt der deutschen Band Feine Sahne Fischfilet am Samstagabend am St. Galler Open Air zu verhindern. Grund sind anonym verbreitete Vorwürfe, die bereits vor einem Jahr gegen den Sänger Jan Gorkow (35) auf Social-Media-Plattformen veröffentlicht wurden. Vorwurf: «sexuelle Belästigung und Machtmissbrauch». Nun gibt es aber keinerlei Beweise dafür, dass Gorkow seine «Gurkow» irgendwo platziert haben soll, wo sie nicht hingehört, niemand steht mit Namen hin. Die Beiträge mussten längst gelöscht werden: Feine Sahne Fischfilet klagten auf Verleumdung und bekamen vom Stralsunder Amtsgericht recht. Der Juso-Protest mutet also reichlich seltsam an. Nicht so bei Rammstein: Gegen Lindemann ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft, diverse Frauen stehen mit Namen hin, um Lindemanns Verhalten anzuprangern.

Nicht überall, wo «Schlampe» draufsteht, ist Frauenfeindlichkeit drin

Die drei Beispiele zeigen: Jeder Fall ist anders gelagert. Und man muss differenzieren, denn es kann auch Ironie als Frauenfeindlichkeit missverstanden werden. Hierfür kurz zurück zu Knöppel. Die Punkband hat einst explizit zum Konzept erklärt, dass in jedem ihrer Songs mindestens einmal das Wort «Wichser» vorkommen müsse. Und obwohl die Band das dann doch nicht ganz schafft, entstanden so legendäre Songs. Etwa «Prada» mit den Zeilen: «Chauf i halt Prada, ehr Wichser». Sänger und Texter Jack Stoiker (Daniel Mittag, 50) macht sich darin mit der Brechstange über die subtilen Codes, die eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaftsschicht symbolisieren – oder eben nicht – lustig. Und das ist zunächst einmal einfach erfrischend und clever, genau wegen der primitiven Derbheit.

Überhaupt arbeiten Knöppels Texte fast immer mit dem ironischen Bruch: «D Fraue sind alles Schlampe, d Gsellschaft isch verloge, drum fülled mir üs d Lampe» kann man natürlich als Frau für bare Münze nehmen und sich von Stoiker persönlich frauenfeindlich verunglimpft fühlen. Man kann in dem Text aber auch die peinliche Rechtfertigung eines Losers sehen, der sein generelles Versagen im Leben auf alle anderen abwälzt und so seinen Alkoholkonsum larmoyant rechtfertigt. Dafür braucht man aber eine gewisse Abstraktionsfähigkeit. Dass in einem Publikum bestimmt immer auch ein paar Idioten sind, die die Texte bar jedes ironischen Verständnisses mitgrölen, ist dabei zu erwarten. Und dass einige Frauen sich am Wort «Schlampe» stören, auch. Es sind übrigens eher jüngere Frauen, und sie stören sich mit gutem Grund daran: Auf heutzutage gängigen Pornoseiten, die zudem oft gegenüber Frauen sehr gewalttätige Inhalte zeigen, werden Frauen routinemässig als Schlampen bezeichnet. Kein Wunder, haben junge Frauen keine Lust auf das Wort «Schlampe» in Songtexten, egal, ob ironisch oder nicht.

Ironie funktioniert manchmal wunderbar … und dann eben wieder nicht

Die ironische Verwendung von Wörtern und visuellen Codes ist also auch eine Generationenfrage. Ironie nutzt sich zudem sehr schnell ab, wenn sie überstrapaziert wird. Sie kann schliesslich auch für alles herangezogen werden: Wer etwa schon immer die totalitäre und frauenverachtende Ästhetik und Lyrik der Band Rammstein eklig, peinlich und schlicht strunzdumm fand, dem konnten Fans einfach entgegenhalten, man würde halt die subtilen ironischen Levels nicht verstehen, sei also einfach zu doof für die Band. Das ist natürlich ein Totschlag-Argument, mit dem man alles rechtfertigen kann: Judenwitze? Ironisch gemeint! Rassismus! Ironisch gemeint! Frauenfeindlichkeit? Hab dich nicht so, ist natürlich ironisch gemeint!

Ironie kann man auch nur dann verwenden, wenn man sozusagen aus Distanz, aus der Vogelperspektive auf etwas blickt, «ironische Distanz» ist denn auch eine stehende Wendung. Es braucht eine gewisse Überheblichkeit dazu, etwas ironisch auszudrücken – wie auch eine gewisse Intelligenz, Situationen ironisch abstrahieren zu können.

Ironie schöpft vielleicht auch aus einer Überheblichkeit, die jemandem wohl oft fehlt, der in einer üblen Situation steckt. Sowohl Rammstein als auch Knöppel – bei denen es ansonsten kaum Übereinstimmungen gibt – gehören einer Generation um die 50 oder darüber an, die sich eine solche Ironie leisten konnte: Sozialisiert in den 1980er- und 1990er-Jahren, geboren in den 1960ern und 1970ern, sind sie während der Ausläufer des westlichen Wirtschaftswunders aufgewachsen. Auch waren in den 1990er-Jahren Themen wie Umweltzerstörung, Klimakatastrophe und Inflation längst nicht so beängstigend wie heute. Ironie als Grundhaltung funktionierte für die Generation X sehr gut, um sich gegen die als spiessig empfundene Elterngeneration abzugrenzen.

Ernst zu sein ist die neue Rebellion

Für heutige Junge ist das Leben unsicherer geworden. Ironie passt irgendwie nicht mehr zur jüngeren Generation, sondern scheint – wie die Musiker von Bands wie Knöppel und Rammstein – als Stilmittel etwas «alt» geworden zu sein. Für «Alte» ist dies natürlich ein herber Humorverlust. Vielleicht sollten sie aber die neue Ernsthaftigkeit («Alte» sagen vielleicht eher: huerestiere Humorlosigkeit) vieler Junger mit Milde betrachten. Schliesslich müssen die sich auch abgrenzen können. Und wenn nun jahrzehntelang alles ironisch persifliert werden konnte, was auch noch so schrecklich war (erinnert sich jemand an den Comiczeichner Moers und seine Figur «Adolf, die Nazi-Sau»?), so bleibt den Jungen als Revoluzze gegen die Alten nur noch die Ernsthaftigkeit übrig. Wer also den Mangel an Humor der Millennials betrauert, kann sich beruhigen. Spätestens deren Kinder werden mit der neuen Spiessigkeit wahrscheinlich wieder radikal aufräumen.


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