Statt sie verfaulen zu lassen
Thurgauer Familie spendet ihre Äpfel

Statt Äpfel am Baum verfaulen zu lassen, kann man sie als Baumbesitzer in der Ostschweiz spenden. Eveline Kunz (47) aus Hüttlingen TG erzählt, wie das geht und warum sie die Idee grossartig findet.
Publiziert: 11.11.2021 um 16:25 Uhr
Barbara Ehrensperger

«33 Apfelbäume stehen auf den Weideflächen unserer Pferde. Im ersten Jahr in unserem neuen Zuhause haben wir es dank unserer Familien und Freunde gerade so geschafft, alle Äpfel zu ernten und in die Landi zum Mosten zu bringen», erzählt Eveline Kunz (47) aus Hüttlingen TG. «Aber wir merkten, das schaffen wir nicht jedes Jahr.»

«Wir wollten etwas Sinnvolles machen mit dem Äpfeln», sagt Kunz. Eine Bekannte erzählte ihr von einem kleinen Unternehmen, das mit Menschen, die Unterstützungsbedarf haben, die Früchte pflückt und daraus Saft herstellt, der dann verkauft wird.

«Das war die perfekte Lösung für uns», schwärmt Kunz. Das kleine Unternehmen ist die von zwei Studenten gegründete Firma Gartengold. Sie stellen Apfelsaft aus quasi gespendeten Apfelbäumen her. Das heisst, sie reisen im Herbst zu den gespendeten Bäumen, pflücken die Früchte und produzieren daraus Saft, den sie online, an Unternehmen und in der Gastronomie verkaufen.

Jeder einzelne Apfel wird geschätzt: Gartengold produziert Apfelsaft von gespendeten Apfelbäumen.
Foto: Gartengold
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Sozialen Mehrwert schaffen

So stand auch dieses Jahr wieder ein bunte Truppe Menschen zur Apfellese vor dem Bauernhaus der Familie Kunz. Banker in Freizeitkleidern, Menschen des sozialen Unternehmens Valida und solche vom Apfelsafthersteller Gartengold.

«Nicht nur der ökologische Aspekt, also dass keine Früchte weggeworfen werden, ist uns wichtig, sondern auch das Miteinander», sagt Ann Kristin Seige (57), Miteigentümerin von Gartengold. «Mit unserem Saft wollen wir einen sozialen Mehrwert schaffen und Menschen, die sonst oft kaum Arbeit finden, eine fair bezahlte und sinnstiftende Arbeit bei der Ernte bieten. Bei der Organisation der Ernte arbeiten wir eng mit unserem sozialen Partner Valida in St. Gallen zusammen», so Seige. Und: «Bei der Ernte werden wir immer wieder von Teams aus verschiedenen Unternehmen unterstützt. Im Rahmen des Corporate-Volunteering-Programms helfen Mitarbeitende bei der Ernte.»

Die Natur befiehlt

Dieses Jahr waren die Ernteleute Anfang Oktober in Hüttlingen TG rund zwei Tage mit der Apfellese beschäftigt. «Letztes Jahr gab es so wenige Äpfel, dass ein Tag ausreichte», erzählt Baumspenderin Kunz. Damit die Gartengold-Pflücker zum richtigen Zeitpunkt kommen, telefonieren sie Anfang Sommer kurz. «Da kann ich ungefähr einschätzen, ob es viele oder wenige Früchte geben wird.»

Dann ruft Gartengold im Herbst wieder an, um den genauen Termin abzumachen – wobei die Natur bestimmt, wann es passt. Die Früchte müssen reif sein und das Wetter einigermassen passen.

Ernten wie früher

Die Ernteleute legen am Morgen los und füllen so den bereitgestellten Container. Am Mittag wird gemeinsam gegessen und natürlich Apfelsaft getrunken. «Dann ist es hier auf dem Hof, wie man es sich von früher her vorstellt: viele Leute, ein Gewusel und gemeinsames Arbeiten», erzählt Kunz. «Und wenn ich die Seife fürs Händewaschen wieder vergessen habe, dann sagen sie mir das einfach – ich schätze das sehr», sagt sie.

Für den Hausgebrauch pflückt die vierköpfige Familie Kunz jeweils ungefähr sechs Harassen. «Das gibt aber schon 120 Liter Saft, den wir selbst mosten lassen und in der Familie trinken», sagt Kunz.

700 Bäume gespendet

Auf die Idee, Apfelsaft mit gespendeten Bäumen zu produzieren, kamen Albert Gebhardt und Leonard Wilhelmi 2013 beim Joggen durch St. Gallen, denn sie sahen Äpfel an den Bäumen verfaulen und überlegten, wie man das verhindern könnte. So konnten sie 2020 von 55 Baumspendern von rund 700 Hochstammbäumen die Früchte pflücken und 50’000 Liter Saft herstellen.

«Uns steht der finanzielle Gewinn nicht im Vordergrund, wichtiger ist uns, dass die Äpfel genutzt werden und wir Menschen mit Unterstützungsbedarf sinnvolle Arbeit und faire Löhne geben können», sagt Ann Kristin Seige. Heute sind sie und Albert Gebhart die Hauptinhaber von Gartengold.

«Wir freuen uns jedes Mal, wenn die Gartengold-Leute kommen», sagt Eveline Kunz. Es sei sehr schön, zu wissen, dass die Äpfel genutzt werden, denn sie könnten diese Arbeit schlicht nicht leisten. Die Vorstellung, dass die Früchte einfach verfaulen, sei für sie ganz schlimm. «Und dass wir damit auch Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, unterstützen können, ist einfach toll.»

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