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Vor 40 Jahren ging das erste Schweizer Privatradio auf Sendung
Stand die Polizei vor der Tür, spielten sie «Help»

Vor vierzig Jahren schreibt Radio 24 Schweizer Geschichte. Zum ersten Mal wagt es ein kleiner Privatsender, im grossen Stil das damalige Staatsmonopol anzukratzen. Und löst eine Fehde mit dem Bundesrat aus.
Publiziert: 27.11.2019 um 23:17 Uhr
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Aktualisiert: 28.11.2019 um 16:41 Uhr
Rebecca Wyss

Es ist ein stürmisch-kalter Tag im Dezember 1979. Beat Wyss (19) startet in Davos GR seinen blassgrünen Occasion-Porsche. An der Antenne hängt ein weisser Stofffetzen – als Solidaritätszeichen für den Piratensender Radio 24. So fährt er über den Splügenpass Richtung Norditalien. Die Strassen sind spiegelglatt. Die Fahrt dauert 21 Stunden. «Ich hatte Angst, dass ich es nicht schaffe», sagt der 59-Jährige heute. Damals hat er gerade die Fahrprüfung bestanden. Umkehren kommt nicht in Frage. Er will an die Kundgebung, um den einzigen Pop- und Rock-Sender der Schweiz zu retten. «Es ging um die Freiheit von uns Jugendlichen», sagt er.

Genau vor vierzig Jahren geht Radio 24 auf Sendung – und schreibt damit Geschichte. Zum ersten Mal wagt es ein kleines Radio im grossen Stil, dem öffentlich-rechtlichen Monopolsender Radio Beromünster dreinzufunken. Stinkfrech von Italien aus, weil dort Privatradios erlaubt sind und in der Schweiz nicht. «Wir wussten nicht, worauf wir uns da einliessen», erinnert sich der damals 34-jährige Gründer Roger Schawinski (74). Niemand ahnt, dass er damit eine Fehde mit der Schweizer Regierung startet. Und eine Volksbewegung in Gang bringt.

Die junge Generation will Popmusik

Radio 24, das es heute noch gibt, trifft aber einen Nerv. Die Jugendlichen haben genug von Radio Beromünster. Von der heiteren Volksmusik, den gestelzt vorgetragenen Geburtstagsglückwünschen, dem distanzierten «Sie, Frau Hugentobler». Die Radiopiraten spielen Bob Marley, duzen ihr Publikum und experimentieren spontan «auch schon mal die halbe Nacht durch, wenn wir nach dem Abendessen genug angeheitert waren». Daran erinnert sich die Stimme der ersten Stunde: Christian Heeb. Er ist Mitte 20, als Schawinski ihn als Studioleiter holt. Er sieht, wie Journalisten arbeitslos werden, wenn sie es sich mit dem Staatssender verscherzen. «Ich wollte mithelfen, das Monopol zu brechen. Damit wir Journalisten ihm nicht mehr ausgeliefert waren», sagt der heute 66-Jährige, der später Radio Basilisk gründete.

Roger Schawinski, der ehemalige «Kassensturz»-Moderator und Chefredaktor der «Tat», 1982 am Sendepult von Radio 24 in Italien.
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Schweizer Radiolandschaft

In den 70ern und 80ern gab es Dutzende von kleinen Piratensendern. Wegen des Privatradioverbots zogen ihnen die Schweizer Behörden meist rasch den Stecker. Radio 24 schaffte es, weil man von Italien aus sendete. Am 1. November 1983 legalisierte der Bund private Radio- und Fernsehinitiativen. Heute unterstützt er 37 Lokalradios mit Gebührengeldern. Zu den Sendern der ersten Stunde zählen auch Radio Energy, das wie BLICK zum Verlagshaus Ringier gehört, und DRS 3, die öffentlich-rechtliche Antwort auf die privaten Popsender. Letzterer richtete sich – anders als das altbackene Radio Beromünster – gezielt an ein jüngeres Publikum und sorgte zusammen mit den Privaten für einen Radioboom.

Energy-Moderator Roman Kilchsperger: «Mit der ‹Aktion Schweizermacher› können wir alle etwas lernen»

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Ein Idealist, wie die meisten der 15-köpfigen Crew. Anders lassen sich die widrigen Umstände auch nicht aushalten. Bis kurz vor dem Sendestart bangen die Piraten darum, dass sie es technisch überhaupt schaffen. Schliesslich muss die riesige Antenne auf dem Pizzo Groppero die 130 Kilometer nach Zürich überbrücken – das hat noch keiner zuvor geschafft. Telefon gibt es im Studio in Cernobbio nahe Como (I) ebenfalls keins. Die Informationen für seine Nachrichtensendung empfängt Heeb über den Apparat an der Rezeption im Nachbarhotel. Probleme macht auch der Zoll. Ständig bedienen sich die Zöllner bei den Schallplatten, die er aus der Schweiz bestellt. «Irgendwann habe ich begriffen, dass man das mit einem Nötli lösen kann.» Die Methode greift auch, wenn Polo Hofer mit seinem Gras über die Grenze zu Besuch kommt.

Ständig droht das Aus

Am schwersten wiegt aber das ständig drohende Sendeaus. Von Anfang an übt die Schweizer Regierung Druck auf die italienischen Behörden aus. Mehrmals rücken sie aus, um den Stecker zu ziehen. Im Dezember 1979 kommt es deshalb zum Showdown. Als die Carabinieri beim Studio vorfahren, stellen sich ihnen Dutzende von Schweizer Fans in den Weg. Die Radio-Crew moderiert aus Protest tagelang durch. Und Schawinski ruft zu einer Petition gegen die Schliessung auf. Innerhalb von fünf Tagen kommen 212’000 Unterschriften zusammen. Die Polizisten ziehen wieder ab.

Fortan spielen die Moderatoren den Beatles-Song «Help», wenn die Polizei vor der Tür steht. Damit Schawinski in Zürich reagieren kann.

Schon im Januar 1980 legen die Italiener den Sender doch noch still. Und verleihen der Volksbewegung Auftrieb. Einige Dutzend Schweizer rollen wie der junge Beat Wyss Richtung Norditalien. Einige Tausend versammeln sich auf dem Berner Bundesplatz und auf dem Zürcher Bürkliplatz. Und Polo Hofer spielt seinen Protest-Song und späteren Hit «Radio 24».

Mit dieser Solidarität hatten die Radiopiraten nicht gerechnet, sagt Valeria Bruni, heute 58, damals 19. Sie ist als erste Radio-24-Moderatorin auf dem Bürkliplatz dabei. Und spricht damals nur Italienisch. «Wir kämpften immer weiter, weil wir spürten, dass wir die Medienlandschaft verändern können.» Ironie des Schicksals: Heute ist sie eines der Aushängeschilder beim Fernsehen der italienischen Schweiz (RSI). Damals macht sie Sendungen für die vernachlässigten italienischen Gastarbeiter in der Schweiz. «Ich wollte ihnen mit meinen Sendungen eine Heimat geben», sagt Bruni.

Die Regierung gibt nach

Vier Jahre lang kämpfen die Radiopiraten um ihr Überleben. Zwei Mal schafft es Schawinski, dass die Schliessung wieder aufgehoben wird. Eine aufreibende Zeit. Fernsehaufnahmen von ihm zeigen ihn als ausgelaugte Gestalt.

Doch der Kampf lohnt sich. Die Schweizer Regierung hält dem Druck in den Achtzigern nicht mehr Stand. Zum einen dem von der Strasse, den die tobenden Zürcher Jugendlichen unter dem Motto «Züri brännt» ausüben. Zum anderen dem vonseiten der grossen Medienhäuser, die ebenfalls Radio machen wollen.

Und so fällt am 1. November 1983 offiziell das öffentlich-rechtliche Monopol: Radio 24 und fünf andere Privatradios gehen auf Sendung. Ganz legal. Schawinski zügelt sein Studio nach Zürich. Damit endet die Ära des Piratenradios. Und es begann jene der Privatradios.

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