Es geht um die Wurst
Forscherstreit um rotes Fleisch

Auf Steak und Wurst müsse man, entgegen bisherigen Empfehlungen, nicht verzichten, sagt eine Gruppe von Forschern. Doch deren Vorgehen kritisieren Ernährungswissenschaftler heftig.
Publiziert: 11.10.2019 um 15:12 Uhr
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Aktualisiert: 23.06.2020 um 22:25 Uhr
Cornelia Eisenach @higgsmag

Ein saftiges Steak, ein Cervelat vom Grill – das sollte man sich nicht mehr als dreimal pro Woche gönnen, andernfalls steigt das Krebsrisiko, warnte die Weltgesundheitsorganisation WHO vor einigen Jahren. Doch nun veröffentlichte eine Gruppe von Forscherinnen und Forschern neue Empfehlungen: Wir könnten weitermachen wie früher, es sei nicht nötig, weniger rotes und verarbeitetes Fleisch zu essen.

Sofort wurde Kritik an diesen neuen Empfehlungen laut. Die Gruppe missachte ihre eigenen Resultate, schreiben etwa Ernährungswissenschaftler der Harvard T.H. Chan School of Public Health in einem Statement.

Tatsächlich geht aus den drei Übersichtsstudien, die die Gruppe zusammen mit der umstrittenen Empfehlung veröffentlicht hat, dasselbe hervor, was andere Studien bereits gezeigt hatten: Wer weniger rotes und verarbeitetes Fleisch isst, hat ein geringeres Risiko für Dickdarmkrebs, Typ‑2-Diabetes und Herz‑Kreislauf‑Erkrankungen. Allerdings, und hier liegt der Hauptgrund für den Streit, interpretiert die Gruppe die Resultate anders als bisher. Sie bewertet sie als unzuverlässig, weil sie auf Beobachtungsstudien beruhen.

Die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO, weniger rotes Fleisch zu konsumieren, wurde von einer Forschungsgruppe angezweifelt. Die Aussagen der Gruppe zogen aber nun ihrerseits heftige Kritik auf sich.
Foto: Unsplash/Sven Brandsma
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Viele Beobachtungen, wenig Experimente

In solchen Beobachtungsstudien werden Teilnehmende zu ihrem Leben befragt, etwa wie viel Fleisch sie essen, wie viel Alkohol sie trinken oder ob sie rauchen. Die Angaben zum Fleischkonsum werden dann verglichen mit Angaben zum Gesundheitszustand, Störfaktoren wie Rauchen werden rausgerechnet. Dieses Vorgehen genüge nicht den Kriterien für rigorose klinische Studien, so wie sie etwa angewendet werden, um zu testen, ob ein Medikament wirkt oder nicht, sagte die Gruppe, die nun die neuen Empfehlungen gemacht hat.

Sabine Rohrmann, Ernährungswissenschaftlerin an der Universität Zürich, hat selber solche Beobachtungsstudien durchgeführt und kritisiert diese Interpretation: Man könne Kriterien für klinische Studien schlecht auf Ernährung anwenden. Denn zum einen könne man den Probanden kein Placebo geben, denn der Mensch wisse ja, was er zu sich nimmt. Und zum anderen sei es schwierig, Menschen vorzuschreiben, über längere Zeit bestimmte Mengen Fleisch zu essen. «Bei Medikamenten geht das, aber wenn man die Ernährung bestimmen will, ist das ein sehr grosser Eingriff in den Lebensstil.»

In der Tat fanden die Gruppenmitglieder nur wenige solcher Interventionsstudien. Diese zeigten allerdings kaum einen Zusammenhang zwischen Fleisch und Krebsrisiko.

Empfehlung, weil Leute rotes Fleisch mögen

Ausserdem anerkannte die Gruppe zwar die Effekte der Beobachtungsstudien, bewertete sie aber als zu klein: Beispielsweise vermeidet die Reduktion des Fleischverzehrs nur neun Todesfälle pro 1000 Personen. «Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung ist das aber schon sehr viel, das kann man nicht ignorieren», sagt Rohrmann. «Bei anderen Risikofaktoren wie zum Beispiel Pestiziden ist der Effekt auch relativ klein oder nicht mal bekannt, und trotzdem diskutieren wir über ein Verbot.»

Des Weiteren stützt die Gruppe ihre neue Empfehlung auf eine Untersuchung der Vorlieben, die zeigt: Menschen essen gerne rotes und verarbeitetes Fleisch. Das findet Rohrmann fragwürdig. «Wir warnen auch vor dem Rauchen, unabhängig davon, ob Menschen es gerne tun oder nicht.» Ausserdem lasse die Empfehlung ausser acht, wie schädlich unsere Lust am Fleisch für das Klima ist. «Wir sollten an den bisherigen Empfehlungen festhalten und weniger rotes und verarbeitetes Fleisch essen», sagt die Zürcher Ernährungswissenschaftlerin Rohrmann.

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