BLICK-Autor testet sein Können am «Päckli-Tisch»
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Ein Tag am «Päckli-Tisch»:BLICK-Autor testet sein Können am «Päckli-Tisch»

Journalist versucht sich am Päckli-Tisch
Geschenke einpacken im Warenhaus: ein Selbstversuch

Unser Autor Jonas Dreyfus hat an einem Adventssonntag 
im Manor Geschenke eingepackt. Eigentlich lief alles rund. 
Wäre da nur nicht dieses ferngesteuerte Einhorn gewesen.
Publiziert: 17.12.2018 um 16:16 Uhr
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Aktualisiert: 17.12.2018 um 17:05 Uhr
Jonas Dreyfus

Jetzt nicht am Schluss noch die Nerven verlieren. Nach fünf Stunden am Päckli-Tisch ist Destiny das letzte Geschenk, das ich einpacke. Destiny ist ein ferngesteuertes Einhorn.

Ich bin so konzentriert, dass ich die Umrisse des Käufers, der mich gnadenlos fixiert, nur noch verschwommen wahrnehme. Im Hintergrund läuft zum hundertsten Mal die Kinderchor-Version von «Stille Nacht».

Ich hatte den Käufer gewarnt. 
Ihm erklärt, dass ich ein Journalist bin, der wissen will, wie es sich ­anfühlt, in der Weihnachtszeit für einmal auf der anderen Seite des Päckli-Tischs zu stehen. Dort die Käufe der gestressten Kundschaft 
in kleine Kunstwerke mit Schleife zu verwandeln. So schnell wie nur möglich!

Verliehen dem Journalisten für seine ­Einpackkünste eine Fünf: Giulia Vassali (49) aus Maur ZH mit Tochter Brita (10).
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Datum des Selbstversuchs: Adventssonntag, 9. Dezember 2018. Ort: Manor, Bahnhofstrasse ­Zürich, die grösste Filiale der Warenhauskette in der Deutschschweiz.

«Kein Problem, dass Sie das zum ersten Mal machen», sagt der ­Käufer, der Destiny seinem Göttikind schenken wird. «Sie können 
es immer noch besser als ich.»

In der Branche nennt man sie «Päckli-Damen», die vier Frauen, die mit mir hinter dem Tresen im – 1 stehen. Hier, in der Accessoire-Abteilung, verpacken sie Waren aus fast allen sechs Stockwerken des Hauses. Bis zu 500 Mal pro Tag.

Päckli-Dame Christina Müller 
hat mich unter ihre Fittiche genommen – eine Abba-blonde 62-Jährige mit unzerstörbarer Freundlichkeit. ­Früher war sie KV-Angestellte, dann Hausfrau. Ihre drei Kinder sind ­erwachsen, Müller züchtet Perserkatzen. Seit vier Jahren ­arbeitet sie in der Weihnachtszeit am Päckli-Tisch.

Ihre Kolleginnen sind neu ­dabei. Eine ist 19 und will zwischen ­Matura und Studium ein bisschen Geld verdienen, eine ist Physiothera­peutin, eine macht sich demnächst als Grafikdesignerin selbständig.

Jede hat bereits Anekdoten auf Lager. Zum Beispiel die von der Kundin, die 25 Socken einzeln ­einpacken liess. «Sogar die Doppelpacks wollte sie getrennt verschenken.» Oder die vom riesigen Barbie-­Haus, für das ein Dreierteam mehrere Bahnen Geschenkpapier auf dem Boden auslegen musste.

Schwer einzupacken: Objekte mit weichen und harten Oberflächen

Ich bin kein schlechter Ver­packer. Doch unter diesen Umständen … Ich stehe im grellen Kunstlicht, von oben drückt mir die ­Hitze ­eines Scheinwerfers auf den Kopf, von unten bläst die Klimaanlage Kälte an meine Beine. Die Luft 
ist so trocken, dass sich mein ­vorweihnächtlicher Reizhusten nur noch schwer unter Kontrolle halten lässt. Meine Kontaktlinsen fühlen sich an wie Sand in den Augen.

Destiny kommt in einer Kartonpackung in Form einer Scheune ­daher, aus deren Tor sie keck ­herausschaut. Eine Kombination aus harten und weichen Ober­flächen, aus Kanten und 
Rund­ungen. Ihr Horn ist spitzig. Eine Herausforderung.

Es sind hauptsächlich Frauen, die an diesem stürmischen Sonntag durch die Abteilung bummeln. ­Viele Mutter-Tochter-Paare, die ihre schicksten Winterstiefel tragen. Sie kommen aus allen Regionen der Schweiz, aus der Romandie, aus dem Wallis. Oder von weit her: Ein Inder nutzte den Zwischenstopp seiner Reise von Mumbai nach 
New York für einen Shoppingtrip. Sackmesser laufen heute gut.

Eine 17-Jährige, die ich heute bediente, war mit ihren Freundinnen unterwegs, die am Eingang auf sie warteten. Fürs Foto hatte sie nur ganz kurz Zeit und posierte dafür wie ein Instagram-Star. Zuvor ­hatte ich für sie eine Bettflasche mit rosafarbenem Kunstfell-Bezug ein­gepackt. Für ihre Cousine, wie sie sagte, die immer Schmerzen habe während ihrer Tage.

«Die drei Fragezeichen» gibts in einer weiblichen Version

Eine Mutter, mit der ich sprach, liess ihre Tochter ihre eigenen Geschenke aussuchen. Am 24. werden sie – von mir verpackt – unter dem Weihnachtsbaum liegen. Dabei 
ein Band der Buchreihe «Die drei Ausrufezeichen». Im weiblichen Pendant zu «Die drei Fragezeichen» lösen drei Detektivinnen rätsel­hafte Fälle. Dass es eine Lego-Linie Namens «Friends» gibt, zu der 
ein Beach-Resort inklusive Jetski-Vermietung gehört, wusste ich bis heute nicht. Je mehr Spielzeug ich heute eingepackt habe, desto mehr begann ich, mich um meine Kindheit betrogen zu fühlen.

Spielwaren sind neben Büchern und Delikatessen die beliebtesten Weihnachtsgeschenke. Die Wirtschaftsberatungsfirma Ernst & Young befragte 400 Schweizer 
zu ihrem Konsumverhalten in 
der Weihnachtszeit (SonntagsBlick berichtete).

Der grösste Teil der Befragten schätzt das Shoppingerlebnis in 
der Stadt. Die Menschen, die ich heute bediente, kamen ironischerweise aus Gründen nach Zürich, aus denen ich die City an solchen Tagen meide: weil viel los ist, ­wegen des Rummels an den Weihnachtsmärkten und im Hauptbahnhof, wo der Weihnachtsbaum mit dem Swarovski-Schmuck steht.

Schweizer Warenhäuser machen an Weihnachten 30 Prozent ihres Umsatzes

Trotz boomender Online-Shops geben die Schweizer in der Weihnachtssaison immer noch am meisten in Einkaufszentren und Warenhäusern aus. Unter anderem, weil 
sie die Ware dort besser beurteilen können und Versandkosten sparen.

Schweizer Warenhäuser machen mit dem Weihnachtsgeschäft rund 30 Prozent ihres Umsatzes. Stefan Böger, Direktor der Manor-Filiale an der Bahnhofstrasse, darf keine genaue Zahlen nennen, sagt aber, dass sich der Umsatz vom ersten 
bis zum letzen Sonntagsverkauf verdoppelt.

Am meisten Leute erwartet ­
Böger dieses Jahr am Samstag, 22. Dezember. Auch am Sonntag, dem 23. Dezember, wird viel los sein, doch den Tag hätten viele schon für Familienanlässe reserviert. Am 24. steht der Einkauf für das Festessen im Vordergrund.

Christina Müller und ihre Kolleginnen werden am letzten Werktag vor Weihnachten Geschenke ein­packen, bis das Licht ausgeht. Kurz vor Ladenschluss wird es vor dem Päckli-Tisch wie jedes Jahr einen Rückstau durch den ganzen Stock bis zur Rolltreppe geben. Irgendwann wird Müller den Kunden nur noch das Papier mitgeben. Ich bin froh, bin ich dann nicht mehr hier.

Ich entferne jetzt das Preisschild (44.90 Franken) von Destiny, stemple die Quittung mit «bezahlt» ab und reisse mit Schwung ein grosses Stück rotes Papier von der frei hängenden Rolle. Dann lege ich das Einhorn mir der Rückseite nach oben aufs Papier und beginne mit dem Einpacken. Der Klebstreifen, den ich einhändig aus einer überbeanspruchten Halterung ziehe, ist für meinen Geschmack viel zu schmal. Wenn ich ihn abtrennen will, rutscht er über die stumpfen Metallzähne. Beim dritten Versuch gelingts.

Christina Müller hat mir heute eine Schleife «à la Christina» gezeigt, 
für die ich Geschenkband in zig Schlaufen um meine Finger ­wickeln musste. Meine Aufnahmefähigkeit sank mit jedem Schritt, den sie 
mir erklärte. Das in dieser Hektik zu rekonstruieren – no way!

Die Kunden sind froh, dass sie nicht selbst einpacken müssen

«Die Kunden sind alle sehr nett», hatte Müller zu mir gesagt – und damit bis jetzt recht behalten. 
Ich fühle mich schlecht, wenn ich daran denke, wie unnett ich mich als Kunde am Päckli-Tisch schon aufgeführt habe. Manchmal weiss ich bereits nach fünf Sekunden ­Zuschauen, dass ich es zu Hause nochmals aufmachen und selbst verpacken werde.
Wenn mir ein Angestellter ein nicht so schön verpacktes Geschenk entgegenstreckt, kann ich einen unmissverständlichen «Das ­können Sie nicht ernst meinen»-Blick ­aufsetzen.

Falls ­meine Kunden Ähnliches dachten, liessen sie es mich heute nicht ­wissen. Ich habe für sie den Doktor gemacht, mich bald nicht mehr ans Corporate-Päckli-Design von ­Manor gehalten, Bändel gebunden, wo es auch eine vorgefertigte Schleife getan hätte, und Kleinigkeiten mit ­Papier verpackt, die ich auch einfach in 
ein Couvert hätte stecken können. Die Kunden schienen einfach nur froh darüber zu sein, dass ich ihnen ­Arbeit abnahm. «Es wird ja so­wieso wieder aufgerissen», sagten einige pragmatisch.

Vor mir liegt die fast fertig ­verpackte Destiny. Ich klappe das letzte Stück Papier herunter, um es festzukleben, als ich ein Geräusch höre, das mir das Blut in den Kopf schiessen lässt. Ich mag gar nicht hinsehen. Als ich es doch tue, sehe ich den Riss.

Ich schaue beschämt nach oben ins Gesicht des Käufers, der mich säuerlich anlächelt. Hinter ihm 
hat sich eine Schlange gebildet, 
aus der die Kunden ihre Köpfe ­recken. Jeder meiner Handgriffe wird minutiös verfolgt. Ich stehe mit rotem Kopf im Blitzlicht­gewitter der Fotografin. «Es tut mir leid, aber das muss jetzt wohl oder übel jemand Professionelles nochmals machen», sage ich. Ich bin in diesem Moment einfach nur froh, dass es Menschen wie Christina Müller gibt. 

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