Von Staatskrise bis Spass – die Geschichte der versteckten Kamera
«Söll emal cho!», aber Strache muss gehen

Wenn von der Schadenfreude nur noch der Schaden bleibt: Die versteckte Kamera entwickelte sich immer mehr zu einem Instrument, um Missstände aufzudecken. So wie in der Serie «Undercover» von Blick TV.
Publiziert: 16.02.2021 um 06:58 Uhr
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Aktualisiert: 27.03.2021 um 00:03 Uhr
Woody Allen arbeitete in den 1960er Jahren für die Versteckte-Kamera-Show «Candid Camera» des US-Fernsehens.
Foto: BAA_2012_06_27
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Daniel Arnet

Alle Folgen und Artikel zu «Undercover» finden Sie fortlaufend auf www.blick.ch/undercover


Ein Gärtner besprüht den Rasen. Unbemerkt von ihm tritt ein Knabe auf den Schlauch. Das Wasser staut und der Gärtner schaut in die Düse, ob sie verstopft ist – da nimmt der Bub den Fuss weg und der Strahl klatscht dem Mann ins Gesicht. «Der begossene Gärtner» von 1895 ist einer der ersten Filme der Cinématograph-Erfinder Auguste und Louis Lumière, einer der ersten Kurzfilme überhaupt.

Obwohl dieser Dreh inszeniert ist, enthält er schon alles, was die versteckte Kamera ausmacht: Eine Person spielt einer anderen einen Streich – zur Schadenfreude der Zuschauenden. US-amerikanische TV-Stationen entdecken als Erste das Potenzial dieses Formats und setzen 1948 «Candid Camera» von Allen Funt (1914–1999) aufs Programm. In den 1960er-Jahren schreibt ein damals unbekannter Woody Allen (heute 85) an der Show mit.

Zuerst ahnungslose Bürger, dann Prominente

Bereits 1961 strahlt der WDR unter dem Titel «Vorsicht Kamera!» eine deutschsprachige Adaption von «Candid Camera» aus. Bis 1966 führt Chris Howland (1928–2013) durch die halbstündige Sendung. Wie im US-Vorbild bringen auch hier Lockvögel ahnungslose Bürger in abstruse Situationen, die eine versteckte Kamera zum Gaudi der Zuschauer filmt.

Der grosse Schweizer Showmaster Kurt Felix (1941–2012) integriert die versteckte Kamera ab 1974 in seine erfolgreiche Samstagabendkiste «Teleboy» der SRG – legendär das vermeintliche Ungeheuer vom Urnersee, das Tunken des Gipfelis in Nachbars Kaffeetasse und der «Söll emol cho!»-Rufer mit dem ausser Kontrolle geratenen Modellflugzeug.

Aus solchen Filmchen macht die ARD in den 1980er-Jahren die TV-Sendung «Verstehen Sie Spass?», die Kurt Felix bis 1990 mit seiner Frau Paola (70) moderiert. Mehr und mehr rücken hier prominente Opfer in den Fokus der Kamera: So führen Felix & Co. den Schweizer Sänger DJ Bobo (53) oder die deutsche Fernsehmoderatorin Birgit Schrowange (62) hinters Licht.

Von der Schadenfreude weicht allmählich die Freude, und der Schaden steht im Zentrum: «Undercover» heisst aktuell die Enthüllungsserie auf BlickTV, in der Reporterin Selina Berner (29) mit versteckter Kamera die prekäre Situation von Putzfrauen in der Schweiz aufzeigt. Auf diese Weise kann aufgedeckt werden, was sonst verborgen bliebe.

In der Ibiza-Villa lief die Kamera mit

Auf RTL heisst es seit 2012 «Team Wallraff – Undercover-Reporter decken auf». Der berühmt-berüchtigte Investigativ-Journalist Günter Wallraff (77), der seit den 1960er-Jahren mit Industriereportagen Missstände aufdeckt, dokumentiert nun das Elend der Arbeiter und Angestellten in Fernsehfilmen.

«Versteckte Kamera hat ganzes Land wachgerüttelt», sagte Wallraff nach der «Ibiza-Affäre», die den österreichischen Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache (51) 2019 zu Fall bringt. Die im Juli 2017, wenige Monate vor der Nationalratswahl, von einem Privatdetektiv gedrehten Aufnahmen dokumentieren ein Treffen der vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen in einer Villa auf der spanischen Insel Ibiza. Dabei zeigt Strache Bereitschaft zur Korruption, zur Kontrolle parteiunabhängiger Medien sowie zur Umgehung von Gesetzen.

Privatdetektive, Kriminalpolizisten und Geheimdienste wissen die versteckte Kamera schon lange für ihre Zwecke zu nutzen. Solche Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger sind nicht unproblematisch: Richtersprüche oder gar Volksentscheide müssen sie in einer Demokratie immer wieder legitimieren. So stimmte die Schweizer Bevölkerung 2018 zur Überwachung von Versicherten ab und sagte mit fast 65 Prozent Ja – die versteckte Kamera ist eben nicht immer lustig.


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